Nachtruf (German Edition)
erzählen, worüber du gerade nachdenkst?“ Sie starrte auf die Blumensträuße, die überall im Zimmer verteilt waren. „Allein diese Blumen … sie hätten auch für deine Beerdigung sein können.“
„Ich bin aber hier, Rain. Ich werde wieder gesund.“
„Du verstehst nicht.“ In ihren schönen haselnussbraunen Augen schimmerten Tränen. „Du hast nicht mehr geatmet, als wir in New Orleans gelandet sind. Wusstest du das?“
„Brian hat es mir erzählt. Er sagte, du hättest eine Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht, bis die Sanitäter gekommen sind und übernommen haben.“
Als sie nicht antwortete, berührte er ihre Wange. „Er hat mir auch erzählt, dass du Carteris’ Geländewagen zurück zum Flugzeug gefahren hast.“
Rain schüttelte den Kopf. Sie schien es selbst nicht glauben zu können. „Ich weiß nicht, wie ich das gemacht habe. Die ganze Zeit konnte ich nur daran denken, dich da rauszubringen. Das war alles, was zählte.“
„Du hast Carteris erschossen.“
„Ich musste es tun.“ Sie presste die Lippen aufeinander. Offenbar fielen ihr die Dinge wieder ein, die sich zwischen ihr und dem Chirurgen in der Hütte ereignet hatten. „Wer war er?“, flüsterte sie.
„Sie arbeiten noch daran, das herauszufinden.“
„Er sagte, dass er meine Eltern getötet hätte. Dass es überhaupt kein erweiterter Selbstmord gewesen wäre.“
Trevor verfiel in Schweigen. Er wollte ihr gern die Antworten geben, auf die sie so verzweifelt wartete, doch er konnte es nicht. Sawyer hatte ihm erzählt, dass man im Büro des Bezirksstaatsanwalts überlegen würde, den Fall ihrer Eltern wiederaufzunehmen, aber Trevor fand, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, um darüber zu sprechen. Davon abgesehen war es unwahrscheinlich, dass es noch genügend Beweismaterial gab, um Carteris’ Behauptungen über den Tod von Rains Eltern zu stützen oder zu entkräften. Das viel wahrscheinlichere Ergebnis wäre eine neue Flut von Boulevardartikeln über Desiree und ihren grausamen Tod – noch eine Sache, die Rain dann würde aushalten müssen. Dieses letzte Kapitel in Desirees Geschichte vergrößerte nur noch die Legende um ihre Person.
„Wer waren diese anderen Frauen im Sumpf?“, fragte Rain.
„Sie wissen es noch nicht. Sie versuchen, die Toten den ungeklärten Vermisstenfällen in der Region zuzuordnen. Vielleicht waren es Prostituierte aus New Orleans. Oder Ausreißer. Frauen, die man nicht so schnell vermisst.“
„Glaubst du, Carteris war wirklich so alt, wie er behauptet hat?“
„Nein“, erklärte Trevor. „Doch ich vermute, er selbst hat es geglaubt. Egal. Jetzt ist er tot. Es ist vorbei. Darauf müssen wir uns konzentrieren.“
„Ich werde es probieren.“ Sie berührte flüchtig seinen Arm. Trotz des schwindenden Lichts im Krankenzimmer konnte er die zarten goldenen Sommersprossen auf ihrer Nase erkennen. Ihre porzellanweiße Haut schimmerte fast durchsichtig. Trevor strich mit der Hand durch ihr Haar und staunte, wie seidig es sich anfühlte. Was für ein unbeschreibliches Glück, dass er sie zurückbekommen hatte. „Du hättest mir nicht in die Sümpfe folgen sollen, Trevor. Du wusstest, dass er dich niemals lebend hätte gehen lassen.“
Er sah ihr in die Augen. „Wenn er dich getötet hätte, dann hätte ich es ohnehin nicht überlebt.“
Sie neigte den Kopf und drückte ihren Mund auf seinen. Die Berührung ihrer Lippen, das Gefühl, wie sie einander umschlossen und liebkosten, hallte tief in Trevors Seele nach. Rains Ruhe traf auf seine innere Anspannung. Ihre Helligkeit auf seine Dunkelheit. So lange hatte er in dem Gefühl gelebt, etwas in ihm wäre zerbrochen und nicht zu reparieren. Aber Rain gab ihm die Hoffnung, er könnte die Geister seiner Vergangenheit, die ihn noch immer heimsuchten, irgendwann besiegen. Er würde tun, was nötig war, um zu gesunden. Das wurde ihm klar. Er musste sein Herz für seine Familie öffnen. Und für Rain. Er umfasste ihr zartes Kinn.
„Wir kennen uns noch nicht lange“, sagte er mit leiser Stimme. „Doch es gibt zwei Dinge, die ich schon von dir weiß.“
„Und die wären?“
„Ich weiß, dass ich dich liebe.“
Eine Träne rann über ihre Wange. „Und das andere?“
Er wollte sie lächeln sehen. „Du musst ernsthaft lernen, Auto zu fahren. Und das nicht nur für Notfälle. Vielleicht solltest du wegen dieser Phobie einen Therapeuten aufsuchen …“
„Einen Therapeuten?“ Rain rollte mit den Augen. „Ach, das sind doch alles nur
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