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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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selbst: Unschuld. Vor Eva unschuldig sein. Ihr nicht wehtun wollen. Sie nicht
     quälen wollen mit meiner Hingabe, mit dem Mich-Kleinmachen. Der Melancholiker konserviert den Verlust. So bleibt ihm das verlorene
     Objekt erhalten. Scheiß Freud. Immer hat er recht.
    Eine Rechnung blieb offen, ein Verhältnis ungeklärt: das Verhältnis zu mir selbst. Jetzt weiß ich es.
    Robert zog sich mit merkwürdigen Briefen von mir zurück, angeblich, weil ich nicht von mir selbst sprach. Ausgerechnet Robert
     kippte mich aus Evas Leben. Auf die Kippe, alter Freund.
    Nur wenn sich ein geliebtes Wesen mir verschließt, fühle ich so eine Leere in der ganzen Welt.
Ich wäre lieber wütend gewesen. Ich dachte daran, wie meine Liebe zu Eva gewesen war. Ich beneidete Robert. Ich hörte wieder
     seine trockene Stimme, die zu ihr sagt: Komm.
    Und dann sah ich sie mit den Handschellen.
     
    Von da an machte ich einen großen Bogen um das ganze Viertel. Im Mai zog ich nach Kreuzberg. Im Juni machte ich eine Woche
     Ferien an der Nordsee, starrte stundenlang ins Wasser und schrieb Eva Briefe, die ich niemals abschickte. Ich schrieb ihr,
     dass ich jeden Tag ins Wasser ging, egal wie eisig es wäre. |303| Wieso hat sie dir diese Hefte gegeben? fragte ich Heumann, der vor mir saß, sein Bier trank und mich ansah. Diesmal hatten
     wir uns im
Milagro
verabredet. Wir saßen an einem blank gescheuerten Holztisch, es roch appetitlich nach Flammkuchen, wir hatten keinen Hunger.
    Ich weiß nicht, sagte er. Nicht wirklich. Wir waren befreundet.
    Auch noch, als sie mit Robert zusammen war? fragte ich. Ich zündete mir eine Zigarette an.
    In der ersten Zeit nicht, sagte er, aber je länger sie zusammen waren, desto öfter wollte Eva mich sehen.
    Ihr seid zusammen in die Ateliers?
    Sie wollte, dass ich ihr helfe, sagte er. Die Flecken in seinem Gesicht wurden wieder intensiver.
    Ihr helfe?
    Von ihm wegzukommen, sagte Heumann.
    Ach, sagte ich.
    Er war ihr zu brutal, zu sehr auf das Machtspiel fixiert. Vielleicht war er auch nur sich selbst ausgeliefert – egal. Wie
     soll man in dem Alter wissen, was einen da befällt? Sie hat eine ganze Weile gebraucht, es zu verstehen, sie hat immer gedacht,
     es wird wieder, und er hat sie immer wieder herangezogen. Eva jedenfalls beschäftigte sich damals immer mehr mit Künstlerinnen,
     ich glaube, sie suchte eine Orientierung, ihr angeknackstes Selbstbewusstsein aufzubauen –
    Ihr angeknackstes was? platzte ich heraus. Ich habe nie eine Frau gekannt, die so sicher war wie Eva!
    Tja, sagte Heumann.
    Er hat sie also doch geknackt, sagte ich leise.
    Nein, sagte Heumann und schüttelte den Kopf. Wenn überhaupt, dann war es der Maler. Danach war etwas anders geworden in ihr.
     Sie wollte Robert unbedingt treu sein. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob man das Liebe nennen sollte, was mit den beiden
     ablief. Sie wollte da etwas wissen. Sie hat sich den Richtigen dafür ausgesucht! Alles ging schief. Vollkommen |304| schief. Aber was soll’s? Eva lebte die Verschwendung ihrer eigenen Person. Mit ihrem Körper als Organ der Erkenntnis! Die
     Liebe als ästhetisches Ereignis!
    Heumann lachte. Verschwendung als Erkenntnisform, sagte er, ein interessantes Konzept. Auf die Verschwendung!
    Er hob sein Glas. Ich schüttelte wieder den Kopf.
    Ich hatte keine Vorstellung davon –
    Hör zu, sagte Heumann und beugte sich etwas nach vorn. Dann vergaß er wohl seinen Satz. Er sah mir nur freundlich und offen
     in die Augen. Mir fiel auf, wie lange mich kein männliches Gegenüber auf diese Weise angesehen hatte, dass ich immer nur Kollegen,
     Klienten und Richtern gegenübersaß.
    Ich habe immer gedacht, sagte ich, sie hätte ihn verlassen, einfach so, aus einer Laune heraus, wie sie nun einmal war. Verschwendung
     eben.
    Nein, sagte Heumann, nicht in diesem Sinn. Sie hatte Glück. Nein, sie hatte Energie. Sie hat sich aus der Sache herausgezogen.
     Der Typ   – Du kannst die Hefte haben, lies selbst. Gib sie mir wieder, wenn du sie nicht mehr brauchst.
    Ich will sie nicht, sagte ich.
    Na, du weißt ja, wo sie sind. Er lehnte sich zurück. Er sah mich neugierig an. Als wollte er sagen: Na, wie weit bist du bereit
     zu gehen?
    Ich habe noch etwas, sagte er. Es wird dich interessieren. Komm zu mir, besuch mich!
     
    Ein Mensch schlüpft aus seiner Haut, wird schön, verwandelt sich, wird ein andrer, kann sein Schicksal abstreifen – Wenn ich
     an Heumann denke, fallen mir liebestolle Mädchen und Clochards ein, wenn ich an

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