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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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alle von bester Qualität. An meine Mutter erinnerten mich keine
     Dinge; von ihr blieben mir eine schwer zu ertragende Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Unbeschwertheit, ein bestimmter Geruch
     und ihr Lachen, von dem Opa sagte, es sei in meinem aufgehoben.
     
    Ich glaube, Eva hat sich in meine Seidenhemden verliebt. Als sie noch Eva hieß. Robert nannte sie eines Tages Milena, womit
     der Schlamassel seinen Anfang nahm. Vielleicht auch nicht. Aber von da an ließ er sich nicht mehr bremsen. Robert erfand oft
     Namen für andere, und er benutzte sie so stur, dass |14| wir uns an sie gewöhnten. Wir hatten Spaß daran. Nur in Evas Fall ahnte ich, dass es nichts Gutes nach sich ziehen würde.
     
    Robert, Eva und ich. Eva, Robert und ich.
    Seit ich Heumann getroffen habe, geht mir all das durch den Kopf   – Opa, wie er seine drei Stück Zucker in den Kaffee warf, Eva, die sich in meine Seidenhemden verliebte, Robert, der irgendwann
     anfing, sie Milena zu nennen. Ich habe ohnehin nicht viel anderes zu tun in meiner freien Zeit, seit mich Irene verlassen
     hat. Neulich las ich, es sei altersbedingt, dass man Mitte vierzig plötzlich an seine Jugend denkt, irgendeine Schleife im
     Gehirn. Ich habe nichts dagegen. Es ändert nichts an den Erinnerungen, ob man sie wissenschaftlich oder philosophisch erklärt.
     Im Gefühl hat das Leben keine sukzessive Logik. Die Ereignisse, die ich mir in meinen schlaflosen Nächten vor Augen stelle,
verspringen
. Von Evas Stupsnase zu Roberts unrasiertem Gesicht herrscht eine eigene Ordnung der Zeit.
     
    Robert war mein Freund, so wie Herbert, Oliver und Lukas. Wir hatten zusammen das Gymnasium besucht. Wir mussten als Westberliner
     nicht zum Bund und blieben auch deshalb zum Studium hier. Robert zog als erster von uns mit einem Typen zusammen, den wir
     nicht kannten; es gab damals riesige Altbauwohnungen zu Spottpreisen, wenn man sie teilte. Also gründeten auch Oliver, Lukas
     und ich eine Wohngemeinschaft. Sie löste sich wieder auf, als es Lukas nach Amerika und Oliver zu seiner Freundin zog. Wir
     waren immer in Bewegung; wir standen dauernd irgendwo auf der Straße und packten eine wachsende Menge an Kartons in geliehene
     Autos. Wir waren auf die Welt gekommen, als die Mauer gebaut wurde. Das bedingte unseren Umzugstrieb.
    Wir hatten zusammen Klassenreisen gemacht, Fußball gespielt, die ersten Partys besucht und uns zum ersten Mal verliebt, natürlich
     nicht alle zusammen, und auch nicht gleich |15| glücklich. Robert war immer unser heimliches Zentrum und blieb doch zugleich seltsam fremd; mit seinen aufmerksamen, fast
     misstrauischen dunklen Augen und einem eigentümlich halben Lächeln, das uns jedes Mal aufs Neue verwirrte. Robert hatte uns
     immer etwas voraus. Er fuhr ein
aerodynamisches
Rennrad und ging zum
Tai-Chi
. Er las Bücher, deren Titel wir noch nicht einmal gehört hatten, und er stand auf
Cool Jazz
, als wir uns noch mit
Jethro Tull
und
Genesis
vergnügten.
    Und er liebte das Kino, leidenschaftlich und systematisch.
    Die enge Verbindung unserer Gruppe hatte vielleicht auch damit zu tun, dass Robert die Gabe besaß, Menschen zu verwandeln.
    Nehmen wir nur mal Herbert. Herbert war hässlich. Kleiner als wir, ungelenk, mit einer riesigen Stirn, über der nur dünnes
     blondes Haar wucherte. Schüchtern bis zum Stottern. Er wohnte im selben Haus wie Robert, die beiden liefen miteinander zur
     Schule. Eines Tages hatte Robert die Idee, ihn Harro zu nennen, und tatsächlich wurde Herbert ein anderer. Keiner hatte bemerken
     können, dass er intelligent war; plötzlich zeigte er sich gescheit. Er verlor seine Angst zu stottern und wurde in der Schule
     deutlich besser. Dann brauche ich eben etwas länger für den Satz, sagte er und grinste. Bald blinkerte er sogar die Mädchen
     an, und die Mädchen wurden lächelnd rot.
    Dabei blieb Harro stets zuverlässig und hilfsbereit. Er war es, den wir nachts von der nächsten Notsäule oder der Spinnerbrücke
     aus anriefen, wenn wir bei einer unserer unsinnigen Spritztouren mit dem Moped oder später im gepumpten Auto auf der AVUS
     mit einer Panne liegen blieben. Wir rasten manchmal wie die Idioten diese Strecke rauf und runter; aus der Stadt hinaus konnten
     wir ja nicht, das bewirkte vermutlich einen umso exzessiveren Bewegungsdrang, und irgendwo mussten wir ja auch üben. Jeder
     andere hätte gesagt: Was, mitten in der Nacht? Vergiss es.
    Harro kam, komplett ausgerüstet, mit einer Thermoskanne Kaffee noch

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