Nächte des Schreckens
unternehmen. Sie klammert sich an die letzte Hoffnung, die ihr bleibt. Nicolas hatte recht. Ihre Jugendfreundin Françoise wird sie nicht im Stich lassen. Sie wird sicher bereit sein, zu ihr zu kommen, und an ihrer Seite wird sie keine Angst mehr haben.
Caroline nimmt das Telefon zur Hand und wählt, im Dunkeln tastend, die Nummer. Die Stimme der Freundin zu hören, verschafft ihr sofort Erleichterung.
»Françoise, bitte komm auf der Stelle zu mir. Nicolas kann nicht kommen. Ich sitze hier ganz allein im Dunkeln, und ich habe Angst!«
Zum Glück begreift Françoise sofort den Ernst der Situation.
»Er hat dich ausgerechnet am 16. Januar allein gelassen?«
»Es ging nicht anders. Er war verhindert. Aber du kommst, nicht wahr?«
»Natürlich. Ich bin in einer halben Stunde bei dir. Bis gleich also. Ich setze mich sofort ins Auto.«
Caroline steht auf und bewegt sich vorwärts, ohne irgend etwas sehen zu können. Die Kerzen sind in der Küchenschublade. Sie stößt einen Beistelltisch um, doch sie achtet nicht darauf. Das ist alles unwichtig.
Endlich hat sie die Kerzen gefunden. Sie zündet zwei davon an und kehrt mit ihnen ins Wohnzimmer zurück, doch die Stimmung ist jetzt womöglich noch unheimlicher als zuvor in der vollkommenen Dunkelheit. Die flackernden kleinen Lichter lassen eher an eine Totenmesse denken...
Caroline Dupré sieht auf ihre Armbanduhr. Eine Viertelstunde ist vergangen. Françoise wird erst in einer weiteren Viertelstunde bei ihr eintreffen. Erst dann wird Caroline sich endlich in Sicherheit fühlen. Doch kann sie so lange noch durchhalten? Wird bis dahin womöglich noch etwas geschehen?
Die halbe Stunde ist vorbei. Die nächsten Minuten verstreichen, und Caroline wird von einer Angst ganz anderer Art erfaßt. Weshalb kommt Françoise nicht? Weshalb verspätet sie sich? Hat sie womöglich ebenfalls einen Unfall erlitten? Nein, der Gedanke ist zu schrecklich!
In diesem Moment wird an die Haustür geklopft. Caroline springt auf, stößt einen Sessel um und stürzt zur Tür. Fieberhaft sucht sie auf dem Abstelltisch im Flur nach den Schlüsseln. Dann entriegelt sie das Schloß und öffnet. Eisige Luft kommt ihr entgegen, doch sie verspürt nichts als Erleichterung.
»Françoise! Fran...«
Trotz der Dunkelheit erkennt sie sofort, daß es sich nicht um Franqoise handeln kann. Françoise ist nicht einen Meter achtzig groß und hat keine breiten Schultern.
Caroline begreift ihren nicht wiedergutzumachenden Irrtum. Sie hätte fragen müssen, wer da ist.
Der Mann tritt langsam näher. Er lächelt...
17. Januar 1964, acht Uhr morgens. Nicolas Dupré trifft mit einem Taxi vor dem Haus in Soisy-la-Forêt ein. Der Schneesturm hat aufgehört, und der Morgen dämmert. Die ganz in Weiß gehüllte Landschaft sieht zauberhaft aus. Nicolas hat sich vorgenommen, seiner Frau wegen ihrer Angstzustände sanft, aber entschieden ins Gewissen zu reden. Plötzlich stößt er einen Schrei aus.
»Was ist denn hier los?«
Vor dem Haus entdeckt er ein Polizeiauto sowie ein weiteres Fahrzeug. Von einer schrecklichen Vorahnung überwältigt, springt er aus dem Taxi.
Die Haustür ist offen. Nicolas stürzt hinein und stößt mit einem Beamten zusammen, der ihn zurückhalten will. »Monsieur Dupré?« fragt der Polizist.
»Ja, aber lassen Sie mich in Ruhe!«
»Ich muß Ihnen etwas sagen, Monsieur: Ihre Frau hatte einen Unfall.«
»Einen Unfall?«
»Sie liegt auf dem Sofa im Wohnzimmer...«
An dem Beamten vorbei stürmt Nicolas ins Zimmer. Schon beim bloßen Anblick der mit einer Decke umhüllten Gestalt weiß er Bescheid. Er hebt die Decke mit zitternden Fingern. Caroline ist tot. Ihre Kehle ist durchtrennt. Nicolas greift sich mit beiden Händen an den Kopf.
»Sie hatte recht!«
Der Chef der Gendarmerie legt ihm die Hand auf die Schulter.
»Es war ein tragischer Unfall, Monsieur Dupré. Ich werde Ihnen erklären, was geschehen ist... oder vielmehr, dieser Herr hier wird es Ihnen erklären.«
Erst jetzt bemerkt Nicolas in der Ecke des Zimmers einen Unbekannten. Es ist ein stattlicher Mann um die Dreißig. Er ist kreidebleich und wirkt vollkommen fassungslos. »Wer sind Sie?«
»Mein Name wird Ihnen nichts sagen. Der Zufall hat mich hierhergeführt, ein überaus tragischer Zufall...«
Und dann erzählt der Mann seine unglaublich klingende Geschichte. Er erzählt, wie und warum Caroline Dupré sterben mußte.
»Es geschah gestern abend. Ich saß am Steuer meines Wagens, als das Auto vor mir auf
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