Nächte des Schreckens
»So beruhigen Sie sich doch, Herr Ehrhard! Sind Sie in der Lage, mir ein paar Fragen zu beantworten?«
Der andere macht eine bejahende Kopfbewegung.
»Es stimmt also, daß Sie am Steuer saßen?«
»Ja.«
»Die Blutproben, die wir sowohl Ihnen als auch dem Opfer entnommen haben, ergaben, daß Sie beide einiges getrunken hatten.«
»Ja, wir waren bei einem Fest unseres Sportvereins.« Kopfschüttelnd fragt der Polizist: »Wissen Sie noch genau, wie es zu dem Unfall kam?«
»Nein. Ich erinnere mich nur an einen furchtbaren Krach, und dann sah ich Flammen. Was vorher war, weiß ich nicht. Vermutlich bin ich eingeschlafen.«
»Und hinterher? Erinnern Sie sich daran?«
»Mir war schlecht. Und ich konnte nicht mehr richtig sehen. Man hat mich getragen, und dann war ich im Krankenhaus.«
Der Beamte beugt sich über den Patienten: »Ein Autofahrer hat Sie in seinem Fahrzeug mitgenommen. Können Sie sich daran vielleicht noch erinnern?«
Franz Ehrhard schüttelt den bandagierten Kopf: »Nein. Wirklich nicht.«
In diesem Moment geht die Tür auf. Mit fröhlicher Stimme erklärt der Beamte: »Dies ist Doktor Geiler. Ich glaube, Sie haben allen Grund, sich bei ihm zu bedanken. Er hat Sie gerettet!«
Franz Ehrhard drückt dem Arzt herzlich die Hand: »Vielen Dank, Herr Doktor! Und die Sache mit meinen Augen ist hoffentlich nicht allzu schlimm, oder? Werde ich bald wieder sehen können?«
Lächelnd meint der Arzt: »Schon sehr bald. Die Transplantation ist vollkommen gelungen.«
Der andere fährt hoch: »Eine Transplantation? Wieso das?«
»Ja, ich weiß. In Anbetracht Ihres Zustands wollten wir Ihnen zunächst nichts davon sagen. Aber Ihre beiden Augen waren nicht mehr zu retten. Nur eine sofortige Transplantation hat Ihnen die Sehfähigkeit wiedergeben können.« Franz Ehrhard tastet mit den Händen über die Binde: »Heißt das, daß ich mit den Augen irgendeines Toten sehen werde?«
Hermann Geiler zögert einen Moment, bevor er fortfährt: »Ja, aber Sie wissen noch nicht alles. Noch über den Tod hinaus hat Ihnen Ihr Freund Martin ein Geschenk von unschätzbarem Wert hinterlassen. Sein Leichnam wurde zum selben Zeitpunkt ins Krankenhaus gebracht wie Sie selbst. Der Chirurg hat die Augen des Toten entnommen und anschließend sofort die Transplantation durchgeführt.«
Franz Ehrhard stammelt ein paar unverständliche Worte und wird plötzlich von heftigen Zuckungen geschüttelt. »Das ist doch nicht möglich!« wiederholt er immer wieder aufs neue. Seine Erregung steigert sich dermaßen, daß der Arzt eine Schwester rufen muß, damit sie dem Patienten eine Beruhigungsspritze gibt. Hermann Geiler ist wegen einer so heftigen Reaktion nicht allzu überrascht. Für viele Menschen haben die Augen eine starke symbolische Bedeutung, und es kann psychologische Schwierigkeiten verursachen, mit den Augen eines Menschen zu leben, den man gekannt hat. Dennoch bereut er es nicht, dem Patienten die Wahrheit gesagt zu haben. Irgendwann hätte er sie doch erfahren müssen.
Da stößt Hermann Geiler plötzlich einen Schrei aus: Franz Ehrhard hat die Schwester heftig zurückgestoßen, steht auf, eilt zum Fenster und reißt sich die Augenbinde herunter.
Der Arzt stürzt sich auf ihn: »Sind Sie verrückt geworden? Sie dürfen die Binde nicht anrühren! Wenn Sie zu früh ins Licht schauen, riskieren Sie zu erblinden!«
Doch der Patient wehrt sich mit aller Kraft.
»Blind!« schreit er, »genau das will ich sein, blind!«
Er greift nach einem kleinen Löffel und versucht, sich damit auf die Augen zu schlagen. Es bedarf der Unterstützung mehrerer Krankenschwestern, ihn zu überwältigen. Mittlerweile macht sich Hermann Geiler Vorwürfe wegen seines Verhaltens. Er hat dem jungen Mann zu früh die Wahrheit gesagt. Der durch den Unfall verursachte Schock war doch größer, als er angenommen hatte. Während Ehrhard unter der Wirkung der Injektion endlich einschlummert, zieht sich der Arzt gemeinsam mit dem Polizeibeamten zurück.
Am nächsten Morgen erscheint Hermann Geiler erneut im Krankenhaus, um nach dem Patienten zu sehen. Sobald dieser die Stimme des Arztes vernimmt, gerät er abermals in Rage: »Da sind Sie ja wieder! Sie haben wirklich ganze Arbeit geleistet! Sie können stolz auf sich sein!«
Der Doktor versucht, ihn zu beruhigen, so gut er kann: »Sie müssen sich einfach klarmachen, daß das Auge ein menschlicher Körperteil ist wie jeder andere. Hätte man Ihnen eine fremde Niere eingepflanzt, würden Sie nicht
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