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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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die Füße stolperte mit einem Gesichtsausdruck, als verflöge ein Dunstschleier. Und dann sah sie, daß er nicht mehr der Mann von einst war und es auch nie mehr sein würde - eine andere Henne hatte ihn schon ausgebrütet. Einen Augenblick lang fragte sie sich ängstlich, wer dieser neuaufgelegte Walser sein mochte.
    »Wie ist dein Name? Hast du eine Seele? Kannst du lieben?« fragte er sie in lautem, rhapsodischem Schwall, als sie sich aus ihrer Verneigung aufrichtete. Als sie das hörte, hob sich ihr Herz und sang. Sie schlug mit den langflatternden Wimpern, zu ihm hinüberblickend, strahlend, überschwenglich, neu gewappnet. Nun schien sie groß genug, das Dach der Götterhütte zu durchbrechen, ganz wildes Haar, Federn und triumphale Brüste, und suppentellergroße blaue Augen.
    »So muß das Interview beginnen!« rief sie. »Hol deinen Bleistift raus, und wir fangen an!«

BESCHLUSS
    »Denn du mußt wissen, daß Liz gerade ein Kind verloren hatte, als sie mich fand und an ihre Brust nahm und säugte. Und es war natürlich nicht die Religion, die sie zu einer so unbequemen Nutte machte, sondern ihre Angewohnheit, den Klienten Vorträge über den Mädchenhandel zu halten, über die Frauenrechte, allgemeines Wahlrecht, wie auch die irische Frage, Republikanismus, Antiklerikalismus und die Abschaffung des Oberhauses. Mit all dem befand sich Nelson in voller Sympathie, doch wie sie sagte: Die Welt verwandelt sich nicht über Nacht, und wir müssen essen.
    Die Briefe, die wir über dich im Diplomatengepäck heimgeschickt haben, das waren Nachrichten vom Kampf in Rußland an Genossen im Exil, in unsichtbarer Tinte, insofern haben wir dich schlimm ausgenutzt, muß ich leider sagen, denn wenn die Geheimpolizei es herausgefunden hätte, wärst du nach Sibirien gekommen, an einen Ort, wo wir dich nicht gefunden hätten. Aber Liz mußte es unbedingt tun, sie hatte es einem flotten kleinen Herrn mit einem Schnurrbart im Lesesaal des Britischen Museums versprochen.
    Und wir haben dir auch einen Streich gespielt, mit Nelsons Uhr, in der ersten Nacht, als wir dich getroffen haben, im Alhambra in London, aber die Uhr ist dahin, und ich werde dich nie mehr reinlegen.
    Sonst haben wir dir keine Lügen erzählt oder sind irgendwie von der Wahrheit abgewichen. Ob du’s glaubst oder nicht, alles, was ich dir als wahre Begebenheiten erzählt habe, das war auch so, und ob ich wirklich bin oder ein Märchen, das mußt du dir nun selbst beantworten!«
    Ohne ihre Kleider war sie groß wie ein Haus. Sie war dabei, sich Stück für Stück in einem Topf mit heißem Wasser aus dem Samowar zu waschen, während Walser, nackt bis auf seinen Bart, auf dem Bett des Schamanen wartete. Er sah ohne Überraschung, daß sie anscheinend wirklich keinen Nabel hatte, aber er war nicht mehr geneigt, aus dieser Tatsache irgendwelche bestimmten Schlüsse zu ziehen. Ihr befreites Gefieder streifte gegen die Wände: Es fiel ihm ein, daß die Natur sie nur für die »oben die Frau«-Stellung ausgestattet hatte, und er rutschte auf der Strohmatratze hin und her. Er war wieder er selbst, soweit er es je wieder sein würde, und doch würde dieses »Selbst« nie wieder dasselbe sein, denn nun kannte er die Bedeutung der Angst in ihrer entsetzlichsten Form, Angst nämlich vor dem Tod des geliebten Wesens, dem Verlust der Geliebten, dem Verlust der Liebe. Es war der Beginn einer Besorgnis, die nie enden würde, außer mit dem Tod von einem oder beiden, und Besorgnis ist der Beginn des Gewissens, das über die Seele elterliche Gewalt hat, aber mit der Unschuld unvereinbar ist.
    Lizzie mochte mit abschätzigem Schniefen sagen: »Schau ihn dir an, Sophie, Hokuspokus und Damenröcke, das ist jetzt sein Größtes!« Aber von diesem Pfeil abgesehen hatte sie ihn beinahe freundlich angeschaut, denn im Licht seiner grauen Augen hatte sich ihre Ziehtochter in ihr altes Selbst zurückverwandelt, sogar ohne Wasserstoffsuperoxyd. Nach vielem Nicken und Augenzwinkern von Seiten Fevvers’ hatte sich Lizzie mit dem Schamanen, seiner Cousine, deren ältester Tochter und dem Baby in das Haus der Cousine zurückgezogen, wo sie dann in dieser neuen improvisierten Wöchnerinnenabteilung ein ausführliches Ritual entwickelte, wie Mutter und Kind zu versorgen waren, das im folgenden Jahrzehnt, mit skrupulösem Glaubenseifer befolgt, die niedrige Geburtenrate durch die Senkung der Säuglingssterblichkeit mehr als ausglich.
    Die Schamanencousine, die magische Hebamme, hatte neben dem

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