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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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und schlug mit verzweifelter Energie einen Exorzismus. Walsers Stimme glitt zitternd auf und ab und klang für Fevvers wie der reinste, essentielle Wahnsinn.
    Fevvers spürte den Schauer, der sie stets überfiel, wenn Zauberer, Magier, Impresarios ankamen, um ihr ihre Einzigartigkeit fortzunehmen, als hätten sie sie erfunden, als glaubten sie, Fevvers hinge, um sie selbst zu sein, von der Phantasie der anderen ab. Sie fühlte sich hilflos von einer Frau in eine Idee verwandelt. Der Schamane verdoppelte die Energie seines Trommelns und fing ein Lied mit seltsamen Jaulern und Kläff-Lauten an. Aus einem unsichtbaren Räuchergefäß füllte ein purpurner, das Auge verwirrender Qualm die Hütte, so daß der Schamane sich zu vervielfachen schien, bis es Dutzende gab, die Dutzende Trommeln schlugen mit derselben Forderung an das Ding, das Fevvers war und doch nicht war. In Walsers Augen sah sie sich endlich in einen klar definierten Umriß schwimmen, wie das Bild auf Photopapier - aber statt Fevvers sah sie zwei vollkommen geformte Miniaturen eines Traums.
    Sie fühlte ihre Konturen zerfließen, sie fühlte sich ewig gefangen in der Reflexion in Walsers Augen. Einen Augenblick lang, nur einen Augenblick, erlebte Fevvers die schlimmste Krise ihres Lebens: »Gibt’s mich wirklich? Bin ich, was ich weiß, daß ich bin? Oder bin ich, was er glaubt, daß ich bin?«
    »Zeig ihnen deine Federn, schnell!« gebot Lizzie.
    Fevvers - mit einem seltsamen Gefühl der Verzweiflung, einem elenden Bewußtsein ihres gebrochenen Flügels und verfärbten Gefieders - konnte an nichts anderes denken, als zu gehorchen. Sie streifte achselzuckend die Felle ab, und wenn sie auch nicht zwei Flügel ausbreiten konnte, so breitete sie doch einen aus - asymmetrischer Engel, teilweiser und schäbiger Glanz! Keine Venus, keine Helena, kein Engel der Apokalypse, nicht Izrael noch Isfahel... nur ein armer Freak mit großem Pech, und ein Gegenstand von einer für die Betrachter höchst dubiosen Wirklichkeit, da beide Männer in der Götterhütte an Halluzinationen gewohnt waren und sie, die wie eine Halluzination aussieht, aber keine ist, in ihrem Weltbild keinen Platz hat.
    Die Tür knarrte und knarrte wieder, und Fevvers wußte, ohne sich umzusehen, daß ein paar von Walsers neuen Freunden gekommen waren, um nachzuschauen, was der ganze Aufruhr bedeuten mochte. Alle möglichen gelben Gesichter erschienen nun unter der Tür, im Licht der Lampen, die die Neuankömmlinge trugen und die wie aufgegangene Monde wirkten. Sie spürte die Augen auf ihrem Rücken und ließ versuchsweise den einen ganzen Flügel sich in ihre Richtung sträuben. Sie zögerte zuerst, war sich nicht sicher, aber dann wehte ihr Gefieder - ja! so war es! - wehte ihr Gefieder im Wind des Staunens, in ihrem nun ausgestoßenen langangehaltenen Atem. Ooooh!
    Wie stets noch erfrischte der Wind ihr Bewußtsein. Er blies und wehte durch die Götterhütte und blies die Rauschgerüche und den Gestank nach altem Blut davon.
    Sie legte den Kopf prüfend zur Seite, um das Licht der Lampen genießerisch zu betrachten - wie Bühnenlampen, wie Rampenlicht; das war so gut wie ein doppelter Cognac, diese Rampenlichter zu sehen und dahinter die Augen, erstaunt auf sie gerichtet, ehrfürchtig, die Augen, die ihr sagten, wer sie war.
    Sie würde wieder die Blondine aller Blondinen sein, sobald sie irgendwo Wasserstoffsuperoxyd fand, so einfach war das, und inzwischen - was lag daran! Und natürlich würde ihr Flügel heilen - er würde heilen, wenn der Schnee schmolz und die Taiga veilchenbedeckt zum Vorschein kam, und dann würde sie mit ihrem geheilten Flügel hoch über das Dorf hinaufsteigen, über den Wald, über die Berge und gefrorenen Meere, die Menschen in den Armen, die sie liebte. Heim! Ja! Sie würde wieder den Trafalgar Square sehen und Nelson auf seinem Kapitell, und die Chelsea-Brücke, wie sie sich im Dämmer in die Themse verwischte... und St. Paul’s, die einzelne Amazonenbrust ihrer geliebten Geburtsstadt.
    Hybris, Phantasie, Begehren! Das Blut sang ihr in den Adern. Diese Augen gaben ihr die Seele wieder. Sie erhob sich aus ihrer knieenden Stellung auf Walsers Brust. Sie setzte ein strahlendes künstliches Lächeln auf und streckte die Arme aus, wie um alle Anwesenden in einer breiten Umarmung zu umschließen. Sie sank in einem majestätischen Knicks nach der Tür zusammen, sich der Versammlung darbietend wie einen Riesenstrauß Gladiolen. Dann knickste sie vor Walser, der jetzt auf

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