Nanking Road
es halten sollte, gründlicher vorgehen mussten: wie die Protestanten mit dem Blute Christi! Das einzige Mal, das Bekka meine Eltern und mich zum Gottesdienst begleitet hatte, hatte einen tiefen Eindruck bei ihr hinterlassen, obwohl ich keinesfalls versäumt hatte zu erwähnen, dass sich in dem Kelch, der gereicht wurde, nur Wein befand.
»Fünf, vier, drei, zwo …«
Ich zog die Stirn in Falten, kniff die Zunge zwischen die Lippen und stach zu. Wenn das Mischen unseres Blutes auch nur den winzigsten Hauch einer Chance enthielt, unsere Freundschaft über eine Distanz von achteinhalbtausend Kilometern am Leben zu erhalten, dann sollte es an mir nicht scheitern. Als Feigling durfte ich Bekka nicht in Erinnerung bleiben.
Leider waren weder das Zustechen noch der Blutstropfen, den Bekka mir anschließend fachmännisch aus dem Mittelfinger quetschte, schon das, worauf es ankam. Ich konnte nicht anders, ich sandte einen weiteren flehentlichen Blick zur angelehnten Tür, aber vergebens, das Murmeln der Erwachsenen klang zu eindringlich, zu bedrückt, sie hatten uns vergessen.
»Meiner ist schon fast geronnen«, kam Bekka mir zu Hilfe, indem sie die Prozedur erheblich beschleunigte – jedes weitere Zögern wäre nun wirklich unverantwortlich gewesen. Kaum tauchte Bekkas Finger vor meinem Gesicht auf, öffnete sich mein Mund auch schon wie von selbst und ein metallisch schmeckender Gegenstand rubbelte meine Zunge, während gleichzeitig an meinem eigenen Finger so entschlossen gesaugt wurde, dass ich einen Krampf im Zeh bekam. Vor lauter Selbstbeherrschung schossen mir Tränen in die Augen.
Als ich sie wegblinzelte, entdeckte ich Bekkas älteren Bruder in der Tür. Thomas war so dunkel und still, wie Bekka blond und temperamentvoll war, und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, als er uns beide auf dem Fußboden hocken sah – jede einen Finger im Mund der anderen, ich noch mit dem Messer in der Hand –, schien er sich zu fragen, ob er und seine Schwester überhaupt verwandt waren.
Bekka zog ihre Hand zurück und blickte ihn herausfordernd an.
»Habt ihr noch Appetit auf Nachtisch?«, fragte Thomas.
Meine Mutter hatte gezögert, die Einladung zum Abendessen anzunehmen. Bekkas Eltern waren, was Mamu als arm bezeichnete, und da Liebichs es so geschickt zu verbergen wussten, fiel es mir selbst erst auf, seitdem meine Mutter es erwähnt hatte. Vorher hatte ich nicht weiter darauf geachtet, dass wertvolle Teppiche einer nach dem anderen durch braune, abgetretene Läufer ersetzt worden waren, durch die die Dielen schimmerten. Dass, wo Ölgemälde gehangen hatten, Zeichnungen von Bekka an die Wände gepinnt wurden, hatte ich als Anerkennung ihres künstlerischen Talents verstanden und das Verschwinden des Konzertflügels einzig darauf zurückgeführt, dass die Familie Platz brauchte. Anstelle des Flügels war ein wackliges Klavier mit scheppernden gelben Tasten getreten, die mitunter hängen blieben, wenn Thomas Präludien übte, aber für meine Ohren tat es seinen Zweck: Wenn Thomas spielte, klang jedes Instrument wunderbar.
Als Bekka und ich hinter Thomas ins Wohnzimmer zurückkehrten, stand eine Schüssel Pudding auf dem Tisch, dazu Kaffee und Alkoholisches für die Erwachsenen, und Mamu fragte aus reiner Gewohnheit: »Na, was habt ihr ausgeheckt?«
»Reisevorbereitungen«, erwiderte Bekka und erstaunt bemerkte ich, dass ich tatsächlich begann, mich vorbereiteter zu fühlen! Mein Weggehen konnte Bekka keinesfalls gleichgültig sein, war sie es doch gewesen, die darauf bestanden hatte, dass wir uns als Blutsschwestern trennten, verbunden für alle Zeit durch ein heiliges Ritual. Ein kleiner Teil von Bekka machte sich soeben auf den Weg durch meinen Körper, ließ hier ein wenig Mut zurück, dort eine Spur Entschlossenheit, woanders vielleicht sogar die Werkzeuge eines Plans. Zum ersten Mal, seit unsere Koffer versiegelt worden waren – damit wir nicht auf den Gedanken kamen, in letzter Sekunde noch Wertsachen außer Landes zu schmuggeln –, fühlte ich mich bereit zu gehen.
Herr Liebich jedoch schüttelte den Kopf. »Niemand kann auf das da vorbereitet sein«, behauptete er, nachdem der Pudding verteilt worden war. »Verstehen Sie mich nicht falsch: Es gibt ja keinen anderen Ausweg. Aber ist China nicht noch immer im Krieg mit Japan?«
»Richtig, aber die Ausländer im internationalen Sektor sind nicht in Gefahr. Er ist extraterritoriales Gebiet, sein Status entspricht dem einer ausländischen Botschaft und das
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