Naomi & Ely - die Freundschaft, die Liebe und alles dazwischen
lang.
Ich bin kurz davor, aufzugeben, aber ich tu es noch nicht. Ich versuche, immer mindestens noch drei Minuten länger auszuhalten, bevor ich aufgebe.
Ich bin hier, Naomi. Ich bin hier.
Eine Tür weiter oben öffnet sich und ich höre das dumpfe Geräusch ihrer Docs. Noch schwieriger, als dem Impuls »Gib auf!« zu widerstehen, ist es, dem Impuls »Lauf weg!« zu widerstehen.
Die Tatsache, dass du dich selbst einen Hasenfuß nennst, verleitet dich dazu, immer wieder davonzurennen. Hör damit auf.
Jetzt. Der Augenblick der Wahrheit. Es hört sich so an, als hätte sie den achten Stock erreicht und würde herunterkommen... weiter... und immer weiter...
Die Docs halten an. Sie bemerkt mich.
Und ich sie. Ich nehme wahr, dass etwas geschehen ist. Ich nehme wahr, dass sie so schön wie immer ist, aber dass es sie nicht kümmert. Ich nehme wahr, dass sie Schlaf nötig hat und ein Gespräch unter Freunden und einen Kuss von jemand, der nicht ich bin. Ich nehme wahr, dass sie immer noch wütend auf mich ist, aber dass ihrer Wut auch noch andere Gefühle beigemischt sind. Ich nehme das alles so wahr, wie man Veränderungen bei jemand bemerkt, der für lange Zeit fort gewesen ist. Aber es war keine lange Zeit. Sie war nur für uns lang.
Es ist nicht einfach, sage ich mir. Es ist für keinen von uns einfach.
»Hallo«, sage ich.
»Hallo«, sagt sie.
Schon das ist nicht einfach.
Ich schaue auf die Naomi + Ely-Gleichung an der Wand. Ich möchte nur zu gern daran glauben, dass wir immer noch eine Summe fürs Leben ergeben.
Ich will mich durch die Unterschiede zwischen jetzt und damals nicht abschrecken lassen. Ich kenne den blauen Kuschelpulli, den sie anhat, und ich weiß, mit wem sie an dem Tag Schluss gemacht hat, an dem sie sich die Jeans gekauft hat, und ich war es gewesen, der sie dazu überredet hat, sich die Docs zu kaufen, die so zerkratzt und abgestoßen, wie sie jetzt sind, noch besser aussehen. Ich muss nur alle unsere gemeinsamen Geschichten aus der Vergangenheit in die Gegenwart hinüberretten.
Das ist unsere Ecke. Wir befinden uns in unserem gemeinsamen Kräftefeld. Nichts kann uns verletzen.
»Ich finde, wir sollten hier heiraten«, sage ich. Der Gedanke drängt sich einfach auf.
Naomi sitzt auf der obersten Stufe des Treppenabsatzes, in unserer Ecke, und hat den Kopf an die Wand gelehnt. »Ely«, sagt sie, »wir werden nie heiraten. Niemals.«
Sie sagt das, als wäre es eine Art Offenbarung. Als hätte sie eine Entscheidung gefällt. Aber für mich war das klar, seit ich wusste, dass ich mit Jungs zusammen sein will. Die einzige Überraschung ist, dass es für sie möglicherweise eine Überraschung war.
»Ach Naomi...«, sage ich und setze mich neben sie. Ich lehne mich an sie.
Sie lehnt sich nicht an mich, aber sie verkrampft sich auch nicht.
»Ich bin so müde, Ely«, sagte sie. »Ich hab nicht mehr die Kraft, gegen dich zu kämpfen.«
»Ich hab den Kampf nie gewollt«, sage ich. »Ich hab das alles nicht gewollt.«
Ich weiß, dass sie jetzt denkt: Wenn du das alles nicht gewollt hast, warum hast du dann Bruce den Zweiten geküsst? Ich werde mich schuldig bekennen, wenn ich es muss, aber ich werde mich nicht schuldig fühlen. Obwohl ich weiß, dass es der falsche Anfang war, weiß ich, dass es der richtige Weg ist. Für uns alle.
Ich bin vermutlich nicht der Einzige, der hier Gedanken lesen kann, denn Naomi sagt: »Musste das wirklich sein, ein einziges Mal bist du so richtig verliebt - und ausgerechnet in meinen Freund?«
»Wenn es dich tröstet, ich hab’s wahrscheinlich vermurkst.« Es schmerzt mich, dass sie nicht dabei war und alles mitbekommen hat. Dass ich meinen Kummer nicht mit ihr teilen kann.
»Heilige Scheiße!«
»Was?«
»Ich hab gesagt, dass du so richtig verliebt bist, und du hast keinen Streit deswegen angefangen. Du hast mich nicht zum Teufel gejagt.«
»Und?«
»Das heißt, dass es stimmt. Wow.«
»Ist das also in Ordnung?«, frage ich vorsichtig. »Darf ich verliebt sein?«
Jetzt wäre Naomi normalerweise mit ihrer Naomi-Rolle dran. Sie müsste sich an mich lehnen. Mein Knie tätscheln. Flirten.
Sie tut es nicht. Sie denkt nach. Dann sagt sie: »Ich komm damit klar.«
Ein Blinder mit Krückstock würde sehen, dass das nicht stimmt.
»Du lügst«, sage ich.
»Ich komm damit klar«, wiederholt sie.
»Jaja, ganz klar.«
»Doch klar.«
Ich schüttle den Kopf.
»Warum lügst du?«, frage ich.
»Um die Wahrheit ertragen zu können.«
Ein verdammt guter
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