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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
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betrachtete, wie sie ihn küsste, wie nichts, was er tat, sie zu überraschen schien, so als hätte sie schon viele Male mit vielen Männer gevögelt, und dass sie nie übers Heiraten redete, obwohl sie mit fünfundzwanzig schon fast eine alte Jungfer war, älter jedenfalls als seine Schwestern bei deren Heirat, und dass sie, wenn er sie darauf ansprach, nur sagte, er sei noch nicht so weit – wenn er daran dachte, dann machte ihn das verrückt, dann würde er sie am liebsten besitzen. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, prüfte seine Rasur, machte das Licht aus und ging.
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    Rashid war in seinem Zimmer und dachte über Gleichgültigkeit nach. Er unterhielt sich nur noch selten mit seinem Sohn, denn Kommunikation war Jamals Waffe, seine Art, den Vater gegen sich aufzubringen. Er sagte, was ihm in den Kopf kam, oder vielmehr das, was noch nie zuvor in seinem Kopf gewesen war, seltsame Wendungen ohne Bezug zur Realität. Bei ihrem letzten Gespräch hatte sich Rashid über die Haushaltsfinanzen beklagt. Er hatte gesagt, Jamal lege nicht genug für künftige, unvorhergesehene Fälle zurück. Jamals Antwort: Wer gibt denn irgendwas auf einen solchen Scheiß? Sag der Zukunft, sie kann mich am Arsch lecken. In dem Moment hatte ihr Gespräch ein Ende gefunden, und Rashid war auf sein Zimmer zurückgegangen, hatte sich die Gebetsperlen gegriffen, in den Sessel gesetzt und überlegt, ob manche Arten von Kommunikation nicht ohne Worte besser funktionierten. So lief zum Beispiel die Kommunikation zwischen Tieren wortlos ab und war doch höchst effektiv. Vielleicht sollte die Kommunikation zwischen Vater und Sohn ebenso sein, nämlich vorwiegend stumm. Er musste an die seltsamen Ein-Wort-Botschaften denken, die Jamal und seine Freunde sich per SMS sandten: ›gr 8 ‹ und ›rotflmfao‹ oder ›ftds‹. Es war, als kümmerte es sie nicht länger, ob sie verstanden wurden, gar als bereitete es ihnen Vergnügen, möglicherweise missverstanden zu werden, oder als hätten sie beschlossen, dass die Vorteile der Obskurität jene einer klaren Botschaft überwogen. Sie hatten die Kommunikation aufs Wesentliche reduziert: gutturale Ausrufe, teilweises Verstehen, Gleichgültigkeit. Sie sorgten sich auch nicht um Worte und deren Bedeutung. Tradition kümmerte sie nicht. Er dachte an die Burka tragenden Teenager, die er auf der Straße sah, daran, wie sie in aller Öffentlichkeit auf dem Heimweg von der Schule rauchten. Der Anblick war für ihn jedes Mal ein kleiner Schock. Diesmal jedoch galt es, von den Jüngeren zu lernen, nämlich wie nützlich Gleichgültigkeit sein konnte. Oder es galt, dies erneut zu lernen, denn dieselbe Lektion hatte er früher schon einmal gelernt. Er wandte sich wieder seinen Gebeten zu, begann mit Daumen und Zeigefinger zu zählen. Vom Hof unten hörte er den Lärm der Kinder. Es war der Lärm, den er dieser Tage meistens hörte, Geschrei und Rufe kleiner Kinder, einer riesigen Armee, und wenn ihm dieser Lärm bewusst wurde, dann war ihm, als wäre die ganze Stadt nur ein Gehege für unbeaufsichtigte Kinder, wilde Jungs und Mädchen, die sich selbst aufzogen, bettelten, stahlen, Geschäfte machten, einander steinigten, ja, als gehörte sein Sohn dazu, und es gab nichts, was er dagegen tun konnte, denn schließlich war dies Bombay – wie könnte es anders sein?
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    Es war Samstagabend, und vor der Tür drängten sich die Besucher. Der Club war nur für Pärchen, also hatte er Farheen abgeholt, und sie waren zu Juhu gefahren, eine Stunde bei dem Verkehr, und beim Warten vor dem Eingang verging noch mehr Zeit. Nach zwanzig Minuten rief er eine Nummer an, die ihm gegeben worden war, und sagte der Frau, die ihm antwortete, er sei da, warte draußen, hätte aber auch nichts dagegen, wieder zu gehen, wenn der Laden voll sei, jedenfalls würde er nicht länger warten. Sie kam persönlich nach unten, stellte sich als Natascha vor und begleitete sie nach oben. Sie fuhren in einem gläsernen, seitlich am Gebäude angebrachten Fahrstuhl. Natascha hatte einen Akzent, den er nie zuvor gehört hatte, vielleicht südamerikanisch, und den ganzen Weg nach oben redete sie ins Handy, in der anderen Hand hielt sie einen zweiten Apparat. Ich probier’s, sagte sie, ich verspreche es, ich probier’s. Über drei Stockwerke hinweg wiederholte sie ihr Versprechen. Kaum waren sie drinnen, verschwand Natascha. Jamal und Farheen suchten nach einem freien Tisch, aber es gab nirgendwo Platz, weder in der Lounge noch

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