Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
Vom Netzwerk:
wären ihm die Worte ausgegangen. Eine Weile schwiegen wir. Dann schaute er auf die Uhr und stand auf. Mein Vater war süchtig, süchtig nach allem. Jetzt hat er zu sich gefunden. Gehen Sie nach oben. Er ist im ersten Stock.
    •••
    Die beigen Wände waren frisch gestrichen, Treppe und Geländer aber aus zerschrammtem Holz. Ich ging nach oben, vorbei an der verschlossenen Tür auf halber Treppe. Die Tür zum ersten Stock stand offen; im Flur brannte ein Licht, ansonsten lag das Haus im Halbdunkel. Rashid saß in einem Sessel am offenen Fenster; die einzigen Geräusche im Zimmer drangen aus dem Hof herauf, in dem Kinder spielten. Ihre Stimmen hallten von den Wänden wider, helle, vor Wut klirrende Stimmen. Rashid starrte aus dem Fenster, doch war ihm nicht anzumerken, ob er etwas sah oder hörte. Auf seinem Kopf saß eine gehäkelte Scheitelkappe, und er zählte seine Gebetsperlen. Mich überraschte, wie mager er war, auch der Ausdruck der Unnahbarkeit in seinem Gesicht sowie die Kleider, die er trug, ein blaues Hemd und eine neue schwarze Hose. Rashid, dessen Farbe immer Weiß gewesen war.
    Rashidbhai, fragte ich. Er zuckte zusammen und blickte sich verwirrt um. Ich stellte mich vor, sagte, ich sei viele Jahre fort gewesen und erst kürzlich zurückgekehrt. Ich sagte, ich freue mich, ihn wiederzusehen, und stellte mich noch einmal vor. Dann legte sich seine steife Haltung.
    »All das war vor langer Zeit.«
    Er hatte die Drogen aufgegeben und war ein magerer Mann geworden. Doch er hatte mehr als nur einige Kilos verloren. An ihm war nichts mehr, was ich wiedererkannte. Er war mager geworden und sein Charisma verschwunden.
    »Wie geht es Ihnen?«
    Er nickte. Dann änderte er seine Meinung und schüttelte den Kopf, um anzudeuten, dass es ihm nicht gutgehe, dass er nicht wisse, wie es ihm gehe oder dass es ihm egal sei. Ein Mädchen kam herein und brachte Tee.
    »Ich denke oft an die Zeit zurück, als Ihre Khana die beste in der Stadt war. Manche behaupten, sie war die beste im ganzen Land.«
    »Nutzlos. Mein Fehler, dieses dumme Geschäft.«
    »So groß war der Fehler nun auch nicht. Immerhin sind Sie noch hier.«
    »Ich bin nicht hier.«
    »Dimple?«, fragte ich.
    »Tot.«
    »Bengali?«
    »Tot.«
    »Rumi?«
    »Tot.«
    »Und Sie selbst«, fragte ich. »Lebendig?«
    Er war von unserem Gespräch bereits erschöpft und blinzelte mich an; einen Moment lang trafen sich unsere Blicke. Dann schüttelte er die hageren, weißbärtigen Wangen.
    »Von Tag zu Tag schlimmer. Und lebendig.«
    Das Mädchen kam mit Weintrauben auf einem weißen Teller zurück, gewaschen, geschält. Zu viel, sagte er, streckte aber die Hand aus, nahm ein paar und schob mir dann den Teller hin. Ich griff zu. Stille breitete sich aus.
    »Was ist mit Dimple passiert?«, fragte ich.
    Das Mädchen bot ihm erneut Weintrauben an.
    »Nein, nein, nein«, sagte er.
    •••
    Er schloss das Büro ab, nahm das Handy, die Schlüssel und ging nach oben. Sein Vater saß bei abgestelltem Ventilator und offenem Fenster in seinem Zimmer und tat, soweit Jamal sehen konnte, rein gar nichts. Den ganzen Tag saß der alte Mann in derselben Haltung da und starrte aus dem Fenster. Manchmal hörte er ihn mit sich reden, ganz leise, als ob er nicht belauscht werden wollte. Das Zimmer verließ er nur selten, mal für einen Spaziergang, mal, um in die kleine Wohnung auf halber Treppe zu gehen, in der die Kaamvali gelebt hatte. Jamal hatte keine Ahnung, was er da wollte. Das Zimmer war voll mit Gerümpel, Schimmel und Sachen, die fortgeworfen gehörten. Er ging auf sein eigenes Zimmer, um sich am Becken Gesicht und Hals zu waschen. Beim Griff nach dem Handtuch dachte er an Farheen, an ihren Hüftspeck, der ihn stets aufs Neue erregte. Sie trug Burkas, die sie selbst entwarf, gemusterte, wie Laborkittel geschnittene Burkas, die sich eng an Bauch und Hüfte schmiegten. Farheen erinnerte ihn an die Kaamvali seines Vaters. Einmal, in einer Pension in Lonavla, war er so oft gekommen, dass er mitzählen wollte. Nummer sieben, sagte er, wie findest du das? Mir wäre es lieber, du würdest gelegentlich auch mal daran denken, mich ein bisschen zu befriedigen, erwiderte Farheen. Manchmal wünschte ich mir, du wärest älter oder würdest dich zumindest benehmen, als wärest du älter. Darauf wusste er nichts zu sagen, da er nun einmal so alt war, wie er war, also zwei Jahre jünger, und das konnte er nicht ändern. Wenn er daran dachte, wie sie ihn prüfend und ruhig beim Vögeln

Weitere Kostenlose Bücher