Narrenturm - Roman
»Immerhin? Welch eine große Erleichterung!«
»Wenn wir nur die römischen Päpste in Betracht ziehen«, folgerte Thomas Alpha, »dann ist der nächste bei Malachias ›Die himmlische Wölfin‹.«
»Ich hab ja geahnt«, Horn lachte, »dass es schließlich dazu kommen musste. Die
Curia Romana
war schon immer für ihre Wölfe berühmt, was Recht und Sitten anbelangt, aber dass, der Herr sei uns gnädig, eine Wölfin auf den Stuhl Petri gelangen sollte?«
»Dazu noch ein Weibchen«, spottete Scharley. »Abermals? War’s nicht genug mit der einen Johanna? Und damals hieß es, sie würden genauer untersuchen, ob auch alle Kandidaten Eier haben.«
»Die Musterung haben sie eingestellt«, Horn zwinkerte ihm zu, »da wären zu viele durchgefallen.«
»Das sind unpassende Scherze«, Thomas Alpha runzelte die Stirn, »außerdem riechen sie nach Häresie.«
»Und wie!«, fügte der Institor düster hinzu. »Ihr lästert. So wie mit Eurer Ratte . . .«
»Genug, genug!« Koppirnig brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. »Kommen wir auf Malachias zurück. Wer also wird der nächste Papst?«
»Ich habe es überprüft und weiß es«, Thomas Alpha blickte stolz in die Runde, »nur einer von den Kardinälen kommt in Frage. Gabriele Condulmer. Früher Bischof von Siena. Und Siena, merkt auf, führt eine Wölfin im Wappen. Jenen Condulmer, denkt an meine und Malachias’ Worte, wird das Konklave nach dem Tode Papst Martins, Gott gebe ihm ein langes Pontifikat, erwählen.«
»Das erscheint mir nicht sehr wahrscheinlich.« Horn schüttelteden Kopf. »Es gibt sicherere Kandidaten, solche von denen häufiger gesprochen wird, solche, die eine raschere Karriere gemacht haben. Branda Castiglione und Giordano Orsini, beide Mitglieder des Kardinalskollegiums. Oder Juan Cervantes, Kardinal San Pietro in Vincoli. Oder dieser Bartolomeo Capra, der Erzbischof von Mailand . . .«
»Der päpstliche Camerlengo Giovanni Palomar«, fügte Scharley hinzu. »Isidore Charlier, der Dekan von Cambrai. Der Kardinal Juan de Torquemada. Johannes Stojkovic von Ragusa schließlich. Meiner Meinung nach hat jener Condulmer, von dem ich, wenn ich ehrlich bin, noch nie gehört habe, nur geringe Chancen.«
»Die Prophezeiung des Malachias«, beendete Thomas Alpha die Diskussion, »irrt sich nicht.«
»Was man von seinen Interpreten aber nicht behaupten kann«, erwiderte Scharley.
Die Ratte schnupperte an Scharleys Schüssel. Reynevan richtete sich mühsam auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand.
»O meine Herren, meine Herren«, sagte er mit einiger Anstrengung, wobei er sich den Schweiß von der Stirn wischte und den Husten unterdrückte. »Ihr sitzt im Turm, in einem dunklen Gefängnis. Keiner weiß, was morgen ist. Vielleicht schleppen sie uns zu Folter und Tod? Und Ihr streitet um einen Papst, den es erst in sechs Jahren geben wird . . .«
»Woher wisst Ihr das«, Thomas Alpha verschluckte sich fast, »das mit den sechs Jahren?«
»Das weiß ich nicht. Das habe ich nur so dahingesagt.«
Am Vorabend von St. Martin, am zehnten November, als Reynevan wieder völlig genesen war, wurden Jesaja und der Normale für geheilt erklärt und entlassen. Zuvor waren sie mehrmals zur Untersuchung geführt worden. Man wusste nicht, wer diese durchführte. Wer auch immer das war, musste der Auffassung sein, dass beständiges Masturbieren und einealleinige Kommunikation mit Zitaten aus dem Buch des Propheten überhaupt nichts bewiesen und nichts Nachteiliges über die psychische Gesundheit aussagten, schließlich zitiert auch der Papst manchmal aus dem Buch Jesaja, und Masturbieren ist eine rein menschliche Angelegenheit. Nikolaus Koppirnig sah darin allerdings etwas anderes.
»Sie bereiten das Terrain für den Inquisitor vor«, erklärte er düster. »Sie entlassen die Irren und Verrückten, damit der Inquisitor mit ihnen keine Zeit verliert. Sie lassen nur die hier, die dicht sind. Das heißt uns.«
»Ich sehe das auch so«, pflichtete ihm Urban Horn bei.
Circulos hatte das Gespräch mit angehört. Kurz darauf zog er um. Er kratzte sein Stroh zusammen und schleppte sich, ein alter, kahler Pelikan, zur gegenüberliegenden Wand, wo er sich weit von ihnen entfernt ein neues Lager errichtete. Die Wand und der Boden bedeckten sich blitzschnell mit seinen Hieroglyphen und Ideogrammen. Sternzeichen, Pentagramme und Hexagramme überwogen, die Mutterbuchstaben Aleph, Mem und Shin wiederholten sich. Es gab auch so etwas wie den Sephirotbaum. Und
Weitere Kostenlose Bücher