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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Unaufhörlich.
    Schweißüberströmt wachte er auf. In den Wachträumen hing er Erinnerungen nach und hörte nicht auf, zu vergleichen.
    Seine Übellaunigkeit wurde noch schlimmer, als Scharley und Horn, die sich seit der Prügelei miteinander angefreundet hatten, so taten, als seien sie dicke Freunde, und höchst vertraulich miteinander umgingen, er war abgeschrieben, einSchalk hatte am anderen sichtlich Gefallen gefunden, ein Schlauberger den anderen erkannt. Unter dem »Omega« sitzend, führten die Schalke lange Gespräche miteinander. Ein Thema hatte es ihnen besonders angetan, andauernd kamen sie darauf zurück. Selbst wenn sie mit einem ganz anderen Thema begannen   – zum Beispiel den Möglichkeiten, aus dem Loch herauszukommen.
    »Wer weiß«, sagte Scharley leise und kaute dabei nachdenklich auf seinem Daumennagel. »Wer weiß, Horn. Vielleicht haben wir ja Glück . . . Siehst du, wir haben eine ganz bestimmte Hoffnung . . . Jemand jenseits dieser Mauern . . .«
    »Wer soll das denn sein?« Horn blickte ihn durchdringend an. »Wenn man das erfahren darf?«
    »Erfahren? Warum? Du weißt doch, was ein
strappado
ist? Was denkst du, wie lange hältst du es aus, wenn sie dich . . .«
    »Schon gut, schon gut, geschenkt. Ich war bloß neugierig, ob sich eure Hoffnung nicht etwa auf Reinmars geliebte Adele von Sterz richten. Die sich zur Zeit, wie man hört, größter Beliebtheit und größter Achtung bei den schlesischen Piasten erfreut.«
    »Nein«, entgegnete Scharley, den Reynevans wütender Gesichtsausdruck sichtlich amüsierte. »Auf sie hoffen wir keineswegs. Unser lieber Reinmar hat zwar Erfolg beim schönen Geschlecht, aber keinen Vorteil davon, selbstverständlich abgesehen vom recht kurzen Vergnügen des Vögelns.«
    »Ja, ja«, Horn tat so, als würde er sich wundern, »Erfolg bei Frauen allein genügt nicht, man muss auch noch Glück haben bei ihnen. Eine Händchen haben für die Liebe, wenn mir dieser Euphemismus gestattet ist. Dann hat man die Chance, nicht nur zu Herzeleid zu kommen und sich vergebens abzumühen, sondern auch einen Nutzen daraus zu ziehen. Zum Beispiel in einer solchen Situation wie der unsrigen. Ein liebendes Mädchen hat Walgierz Wdały von den Fesseln befreit. Eine verliebte Sarazenin hat Huon de Bordeaux aus der Sklaverei erlöst. Der litauische Großfürst Witold ist mit Hilfe seiner liebendenEhefrau, der Großfürstin Anna, aus dem Gefängnis von Schloss Troky entflohen . . . Die Pest auch, Reinmar, du siehst wirklich schlecht aus.«
     
    »
Ecce enim veritatem dilexisti, incerta et occulta sapientiae tuae manifestasti mihi. Asperges me hyssopo, et mundabor . . .
He! Da muss ich doch wohl gleich jemanden beträufeln!
Lavabis me . . .
Holla! Es wird nicht gegähnt! Ja, ja, Koppirnig, damit bist du gemeint! Und du, Bonaventura, was scheuerst du dich an der Mauer wie ein Schwein? Beim Gebet? Würde, mehr Würde! Und wessen Füße stinken hier so, möchte ich wissen?
Lavabis me et super nivem dealbabor. Auditui meo dabis gaudium . . .
Heilige Dymphna . . . Und was ist mit dem wieder?«
    Er ist krank.
    Reynevan schmerzte der Rücken, auf dem er lag. Er wunderte sich, dass er lag, hatte er sich doch eben erst zum Gebet niedergekniet. Der Fußboden war kalt, die Kälte drang durch das Stroh, er glaubte, auf Eis zu liegen. Er bibberte vor Kälte, zitterte am ganzen Leibe und klapperte so heftig mit den Zähnen, dass ihm die Kiefermuskeln schmerzten.
    »Leute! Er glüht wie der Ofen des Moloch!«
    Er wollte protestieren, sahen sie denn nicht, dass ihm kalt war, dass er vor Kälte zitterte? Er wollte bitten, sie möchten ihn mit etwas zudecken, aber er brachte zwischen seinen klappernden Zähnen kein einziges Wort hervor.
    »Bleib liegen. Beweg dich nicht.«
    Neben ihm röchelte jemand, würde gleich husten. Circulos, das ist wohl Circulos, der so hustet, dachte er und erschrak plötzlich, als ihm bewusst wurde, dass er den Hustenden, der nur zwei Schritte von ihm entfernt war, als konturlosen, verschwommenen Fleck wahrnahm. Er blinzelte. Es half nichts. Er spürte, wie ihm jemand Stirn und Gesicht abwischte.
    »Bleib ruhig liegen«, sagte der weiße Fleck an der Mauer mit Scharleys Stimme. »Liegen.«
    Er war zugedeckt, aber er erinnerte sich nicht, wer ihn zugedeckthatte. Er zitterte schon nicht mehr so sehr, die Zähne hatten aufgehört zu klappern.
    »Du bist krank.«
    Er wollte sagen, dass er es besser wisse, schließlich war er Arzt, hatte in Prag Medizin studiert und konnte

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