Narrenturm - Roman
Papsttums und des ganzen christlichen Glaubens endet. Und bisher sind die Prophezeiungen des Malachias Wort für Wort eingetroffen.«
»Nur, wenn man sie anpasst«, warf Scharley ein und schob Martin ein paar Brotkrumen unter das schnurrbärtige Schnäuzchen. »Nach demselben Prinzip kann man sich auch zu enge Schuhe anziehen. Bloß, dass man darin nicht laufen kann.«
»Ihr sprecht die Unwahrheit, vermutlich aus Unwissenheit. Die Prophezeiungen des Malachias zählen lückenlos alle Päpste auf. Nehmt nur die nicht lange zurückliegende Zeit des Schismas – denjenigen, den die Weissagung den ›Kosmedinischen Mond‹ nennt, ist der erst vor kurzem verstorbene verfluchte avignonesische Papst Pedro de
nomen est omen
Luna, der sich Benedikt XIII. nannte und früher Kardinal Santa Maria in Cosmedin war. Nach ihm kommt bei Malachias
cubus de mixtione,
der ›Würfel im Zusammenschluss‹, und wer ist das, wenn nicht der römische Bonifaz IX., Pietro Tomacelli, der ein Schachbrett im Wappen hat?«
»Und die Bezeichnung ›Vom besseren Stern‹«, warf Bonaventura ein, der sich ein Geschwür an der Wade aufkratzte, »das ist Innozenz VII., Cosimo de’Migliorati, mit einem Kometen im Wappenschild. Nicht wahr?«
»Wohl wahr! Und der nächste Papst ist bei Malachias ›Der Steuermann von der schwarzen Brücke‹, das ist Gregor XII., Angelo Correr, der Venezianer. Und ›Die Sonnenpeitsche‹? Das ist kein anderer als der Kreter Petros Philargis, Alexander V., der Papst der römischen Observanz von Pisa, der eine Sonne im Wappen trug. Und der in Malachias’ Prophezeiung ›Der Hirsch der Sirene‹ genannte . . .«
»Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen . . .«
»Still, Jesaja! Jener Hirsch ist . . .«
»Ist wer?« Scharley lachte. »Ich weiß, ich weiß, hier zwängt ihr, wie den Fuß in einen zu engen Schuh, Baldassare Cossa, Johannes XXIII., hinein. Aber das ist kein Papst, sondern ein Gegenpapst, der überhaupt nicht in die Reihe passt, und darüber hinaus weder mit einem Hirsch noch mit einer Sirene etwas gemein hat. Mit anderen Worten, an dieser Stelle hat Malachias etwas angerichtet. Wie auch an vielen anderen Stellen dieser berühmten Prophezeiung.«
»Ihr seid böswillig, Herr Scharley!« Thomas Alpha plustertesich auf. »Ihr habt an allem etwas auszusetzen! So darf man an diese Prophezeiung nicht herangehen! Man muss darin das sehen, was absolut wahr ist, und dieses als Beweis für die Wahrheit des Ganzen nehmen! Das aber, was Eurer Vermutung nach nicht übereinstimmt, soll man nicht als falsch bezeichnen, sondern demütig anerkennen, dass man, weil man nur ein gewöhnlicher Sterblicher ist, das göttliche Wort nicht verstanden hat, weil es nicht zu begreifen war. Aber die Zeit wird die Wahrheit weisen!«
»Und wenn noch so viel Zeit vergeht, wird durch nichts Unsinn in Wahrheit verwandelt.«
»Hier hast du Unrecht, Scharley«, mischte sich Urban Horn lächelnd ein. »Du weißt die Zeit nicht zu schätzen, o nein, du weißt sie nicht zu schätzen.«
»Ihr seid außenstehend«, ließ sich Circulos, der bisher nur zugehört hatte, von seinem Lager vernehmen, »ihr seid unwissend. Alle. Wirklich, ich lausche und höre:
stultus stulta loquitur.
«
Thomas Alpha wies mit dem Kopf auf ihn und tippte sich vielsagend an die Stirn. Horn lachte, Scharley winkte ab.
Die Ratte betrachtete die Szene mit ihren klugen schwarzen Augen. Reynevan betrachtete die Ratte. Koppirnig betrachtete Reynevan.
»Und was sagt Ihr über die Zukunft des Papsttums, Herr Thomas«, fragte plötzlich ausgerechnet Koppirnig. »Was sagt Malachias darüber? Wer wird der nächste Papst nach dem Heiligen Vater Martin?«
»Sicher der Hirsch der Sirene«, spottete Scharley.
»Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch . . .«
»Still, hab’ ich gesagt, du Dummkopf! Und Euch, Herr Nikolaus, antworte ich so: Das wird ein Katalonier sein. Nach dem jetzigen Heiligen Vater Martin, der ›Die Säule des goldenen Schleiers‹ heißt, erwähnt Malachias Barcelona.«
»Das ›barcelonische Schisma‹«, verbesserte ihn Bonaventura, der den weinenden Jesaja beruhigte. »Und daraus ergibt sich,dass es sich um Gil Muñoz handelt, den nächsten Schismatiker nach de Luna, der sich Clemens VIII. nennt. Immerhin geht es an dieser Stelle der Prophezeiung nicht um den Nachfolger von Martin V.«
»Ach, tatsächlich?«, versetzte Scharley spöttisch.
Weitere Kostenlose Bücher