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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Sichwehren. Goldmund ging auf alles ein, er war unersättlich und biegsam wie ein Kind, er stand jeder Verführung offen: nur dadurch war er selbst so verführend. Seine Schönheit allein hätte nicht genügt, ihm die Frauen so leicht zuzuführen; es war diese Kindlichkeit, dies Offenstehen, diese neugierige Unschuld der Begierde, diese vollkommene Bereitschaft zu allem, was eine Frau irgend von ihm begehren mochte. Er war, ohne es selbst zu wissen, bei jeder Geliebten gerade so, wie sie ihn wünschte und erträumte, bei der einen zart und abwartend, bei der andern rasch und zupackend, einmal kindlich wie ein zum erstenmal eingeweihter Knabe, einmal künstlich und un-terrichtet. Er war zum Spielen bereit und zum Kämpfen, zum Seufzen und zum Lachen, zur Scham und zur Scham-losigkeit; er tat einer Frau nichts, was sie nicht begehrte, nichts, was nicht sie aus ihm hervorlockte. Das war es, was jede Frau von klugen Sinnen rasch in ihm witterte, dies machte ihn zu ihrem Liebling.
    Er aber lernte. Er lernte nicht nur in kurzer Zeit viele Liebesarten und Liebeskünste und nahm die Erfahrungen von vielen Geliebten in sich auf. Er lernte auch, die Frauen in ihrer Mannigfaltigkeit zu sehen, zu fühlen, zu tasten, zu riechen; er bekam ein zartes Ohr für jede Art von Stimme und lernte bei manchen Frauen schon aus deren Klang unfehlbar ihre Art und den Umfang ihrer Liebesfähigkeit erraten; er betrachtete mit immer neuem Entzücken die unendlich verschiedenen Arten, wie ein Kopf auf einem Halse sitzen, eine Stirn sich vom Haarwuchs sondern, eine Kniescheibe sich bewegen konnte. Er lernte im Dunkeln, mit geschlossenen Augen, mit zart prüfenden Fingern eine Art Frauenhaar von der andern unterscheiden, eine Art 107
    von Haut und Flaum von der andern. Er begann zu merken, schon früh, daß vielleicht hierin der Sinn seiner Wanderschaft liege, daß er vielleicht deshalb von einer Frau zur andern getrieben werde, damit er diese Fähigkeit des Kennens und Unterscheidens immer feiner, immer vielfältiger und tiefer erlerne und übe. Vielleicht war das seine Bestimmung: die Frauen und die Liebe auf tausend Arten und in tausend Verschiedenheiten bis zur Vollkommen heit kennenzulernen, so wie manche Musikanten nicht nur ein Instrument zu spielen wissen, sondern drei, vier, viele. Wozu freilich dies gut ist, wohin es führe, wußte er nicht; er spürte nur, daß er auf dem Wege sei. Mochte er für Latein und Logik zwar fähig, aber nicht in besonderer, erstaunlicher, seltener Weise begabt sein – für die Liebe, für das Spiel mitden Frauen war er es, hier lernte er ohne Mühe, hier vergaß er nichts, hier häuften und ordneten die Erfahrungen sich von selbst.
    Einst, nachdem er schon ein Jahr oder zwei unterwegs gewesen war, kam Goldmund auf den Hof eines wohlha-benden Ritters mit zwei schönen jungen Töchtern. Es war im Frühherbst, bald würden die Nächte kühl werden, im vergangenen Herbst und Winter hatte er das gekostet, nicht ohne Sorge dachte er an die kommenden Monate, im Winter war die Wanderschaft schwer. Er fragte um Essen und Nachtlager. Man nahm ihn artig auf, und als der Ritter hörte, der Fremde habe studiert und könne Griechisch, ließ er ihn vom Tisch der Dienstboten an den seinen herü-
    berkommen und behandelte ihn beinah wie seinesgleichen. Die beiden Töchter hielten die Augen gesenkt, die Ältere war achtzehn, die Kleine kaum sechzehn Jahre alt, Lydia und Julie.
    Andern Tages wollte Goldmund weiter. Es bestand keine Hoffnung für ihn, eines dieser schönen blonden Fräulein gewinnen zu können, und andere Frauen waren nicht da, 108
    um derentwillen er hätte bleiben mögen. Da nahm ihn nach dem Morgenessen der Ritter beiseite und führte ihn in eine Kammer, die er sich für besondere Zwecke einge-richtet hatte. Bescheiden sprach der alte Mann zu dem Jüngling von seiner Liebhaberei für Gelehrsamkeit und Bücher, zeigte ihm eine kleine Truhe voll Schriften, die er gesammelt, zeigte ihm ein Schreibepult, das er sich hatte bauen lassen, und einen Vorrat von schönstem Papier und Pergament. Dieser fromme Ritter war, wie Goldmund spä-
    ter allmählich erfuhr, in seiner Jugend auf Schulen gewesen, hatte sich dann aber ganz dem Kriegs- und Weltleben ergeben, bis in schwerer Krankheit eine göttliche Mahnung ihn veranlaßt hatte, als Pilger auszuziehen und seine sündige Jugend zu bereuen. Er war nach Rom und sogar bis nach Konstantinopel gekommen, hatte nach der Heimkehr seinen Vater tot und das Haus leer gefunden,

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