Narziss Und Goldmund
hatte sich da niedergelassen, geheiratet, die Frau verloren, die Töchter auferzogen, und jetzt im Beginn seines Alters hatte er sich hingesetzt und darangemacht, einen ausführlichen Bericht über seine einstige Pilgerreise aufzuschrei-ben. Er hatte auch mehrere Kapitel zustande gebracht, aber – wie er dem Jüngling gestand – sein Latein war recht mangelhaft und hemmte ihn überall. Er bot nun Goldmund ein neues Kleid und freie Unterkunft an, wenn dieser ihm das bisher Geschriebene korrigieren und ins Reine schreiben sowie bei der Fortsetzung behilflich sein wolle.
Es war Herbst, Goldmund wußte, was das für einen
Landfahrer bedeute. Das neue Gewand war ebenfalls wün-schenswert. Vor allem aber gefiel dem Jüngling die Aus-sicht, noch lange Zeit im selben Hause mit den beiden schönen Schwestern zu bleiben. Er sagte ohne Besinnen ja.
Schon nach wenigen Tagen mußte die Beschließerin den Tuchschrank öffnen, es fand sich ein schönes braunes 109
Tuch, von dem wurde ein Anzug und eine Mütze für Goldmund in Arbeit gegeben. Der Ritter zwar hatte an Schwarz gedacht und an eine Art Magisterkleid, aber davon wollte sein Gast nichts wissen und wußte es ihm auszureden, und es entstand nun eine hübsche Tracht, halb Page, halb Jäger, die ihm sehr gut zu Gesicht stand.
Auch mit dem Latein ging es nicht übel. Sie gingen das bisher Geschriebene gemeinsam durch, und Goldmund berichtigte nicht nur die vielen ungenauen und mangeln-den Vokabeln, sondern baute da und dort auch des Ritters kurze unbeholfene Sätze zu hübschen lateinischen Perio-den um, mit soliden Konstruktionen und einer sauberen consecutio temporum. Dem Ritter machte es viel Vergnü-
gen, er war mit Lob nicht sparsam. Jeden Tag brachten sie mindestens zwei Stunden mit dieser Arbeit hin.
In der Burg – sie war ein etwas befestigter geräumiger Bauernhof – fand Goldmund manchen Zeitvertreib. Er be-teiligte sich an der Jagd und lernte mit der Armbrust zu schießen beim Jäger Hinrich, befreundete sich mit den Hunden und konnte reiten, soviel er wollte. Selten sah man ihn allein; entweder war es ein Hund oder Gaul, mit dem er sprach, oder Hinrich, oder die Beschließerin Lea, eine dicke Alte mit einer Männerstimme und vieler Geneigtheit zu Spaß und Gelackter, oder der Hundejunge, oder ein Schäfer. Mit der Frau des Müllers, in nächster Nachbarschaft, wäre es leicht gewesen, eine Liebschaft zu pflegen, er hielt sich aber zurück und spielte den Unerfahrenen, Von den beiden Töchtern des Ritters war er sehr entzückt. Die Jüngere war die schönere, aber so spröde, daß sie kaum ein Wort mit Goldmund sprach. Er trat beiden mit der größten Rücksicht und Höflichkeit gegenüber, aber beide empfänden seine Nähe wie eine unaufhörliche Werbung. Die Junge verschloß sich ganz, aus Schüchternheit trotzig. Die Ältere, Lydia, fand gegen ihn einen beson-110
deren Ton, indem sie ihn halb ehrfürchtig, halb spöttisch wie ein Wundertier von einem Gelehrten behandelte, ihm viele neugierige Fragen stellte, sich nach dem Leben im Kloster erkundigte, aber stets wieder etwas Spöttisches und damenhaft Überlegenes gegen ihn herauskehrte. Er ging auf alles ein, er behandelte Lydia wie eine Dame, Julie wie eine kleine Nonne, und wenn es ihm gelang, durch sein Gespräch die Mädchen länger als sonst nach dem Abendessen am Tische festzuhalten, oder wenn in Hof oder Garten Lydia ihn einmal anredete und sich eine Neckerei erlaubte, war er zufrieden und fühlte einen Fortschritt.
Lange hielt sich in diesem Herbst das Laub an den hohen Eschen im Hof, lange gab es im Garten noch Astern und Rosen. Da kam eines Tages Besuch, ein Gutsnachbar mit seiner Frau und einem Reitknecht kamen geritten, der milde Tag hatte sie zu einem ungewohnt großen Ausflug verlockt, nun waren sie da und baten um Nachtquartier.
Man empfing sie sehr artig, und alsbald wurde Goldmunds Bett aus dem Gastzimmer in die Schreibstube verbracht und das Zimmer für die Besuche hergerichtet, wurden einige Hühner geschlachtet und nach der Mühle um Fische geschickt. Goldmund nahm mit Vergnügen an der festlichen Aufregung teil und spürte sofort, wie die fremde Dame auf ihn aufmerksam war.
Und kaum hatte er, an ihrer Stimme und an etwas in ihrem Blick, ihr Gefallen und Begehren bemerkt, so bemerkte er auch, mit vermehrter Spannung, wie Lydia sich ver-
änderte, wie sie still und verschlossen wurde und ihn und die Dame zu beobachten begann. Als beim festlichen Nachtmahl der Fuß der Dame
Weitere Kostenlose Bücher