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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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zu sprechen, den ewigen Antrieb zu denken!
    Er betrachtete die Blätter der kleinen Pflanze, wie sie um den Stengel her so hübsch, so merkwürdig klug geordnet waren. Schön waren die Verse des Vergil, er liebte sie; aber es stand mancher Vers im Vergil, der nicht halb so klar und klug, nicht halb so schön und sinnvoll war wie die spiralige Ordnung dieser winzigen Blättchen am Stengel empor. Welch ein Genuß, welch ein Glück, welch ein entzü-
    ckendes, edles und sinnvolles Tun wäre es, wenn ein Mensch es vermöchte, eine einzige solche Blume zu erschaffen! Aber keiner vermochte das, kein Held und kein Kaiser, kein Papst und kein Heiliger.
    Als die Sonne tief stand, machte er sich auf und suchte den Ort, den ihm die Bäuerin gewiesen hatte. Dort wartete er. Schön war es, so zu warten und zu wissen, daß eine Frau unterwegs war und lauter Liebe mitbrachte.

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    Sie kam mit einem leinenen Tuch, in das hatte sie ein großes Stück Brot und eine Schnitte Speck gebunden. Sie knüpfte es auf und legte es vor ihm dar.
    »Für dich«, sagte sie. »Iß!«
    »Nachher«, sagte er, »ich bin nicht hungrig nach Brot, ich bin hungrig nach dir. O zeig, was du mir Schönes mitgebracht hast!«
    Viel Schönes hatte sie ihm mitgebracht, starke durstige Lippen, starke funkelnde Zähne, starke Arme, die waren rot von der Sonne, aber innen unterm Halse und hin-abwärts waren sie weiß und zart. Worte wußte sie wenige, aber in der Kehle sang sie einen holden lockenden Ton, und als sie seine Hände auf sich spürte, so zarte, zärtliche und gefühlige Hände, wie sie nie gespürt hatte, schauerte ihre Haut, und es klang in ihrer Kehle wie in der einer schnurrenden Katze. Sie wußte wenig Spiele, weniger als Lise, aber sie war wunderbar kräftig, sie drückte, als wolle sie ihrem Liebsten den Hals brechen. Kindlich und gierig war ihre Liebe, einfach und in aller Kraft noch schamhaft; Goldmund war sehr glücklich mit ihr.
    Dann ging sie, seufzend, schwer riß sie sich los, sie durfte nicht bleiben.
    Goldmund blieb allein zurück, glücklich und auch traurig. Spät erst erinnerte er sich des Brotes, des Specks und aß einsam, es war schon ganz Nacht.
    Achtes Kapitel
    Eine lange Weile schon war Goldmund gewandert, selten ein zweites Mal am selben Ort zur Nacht, überall von Frauen begehrt und beglückt, von der Sonne braunge-brannt, vom Wandern und von schmaler Kost gemagert.

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    Viele Frauen hatten in der Morgenfrühe von ihm Abschied genommen und waren gegangen, manche mit Trä-
    nen, und manches Mal hatte er gedacht: »Warum bleibt keine bei mir? Warum, wenn sie schon mich lieben und einer Liebesnacht wegen die Ehe brechen – warum kehren sie alle sofort zu ihren Männern zurück, von denen sie meistens Prügel zu fürchten haben?«
    Keine hatte ihn ernstlich gebeten dazubleiben, keine einzige hatte ihn je gebeten, sie mitzunehmen, und war aus Liebe bereit gewesen, Freude und Not der Wanderschaft mit ihm zu teilen. Er hatte zwar keine dazu eingeladen, hatte keiner diesen Gedanken nahegelegt; wenn er sein Herz befragte, so sah er, daß seine Freiheit ihm lieb war, und er konnte sich keiner Geliebten erinnern, nach der die Sehnsucht ihn nicht in den Armen der nächsten verlassen hätte. Aber dennoch war es ihm wunderlich und ein wenig traurig, daß überall Liebe so sehr vergänglich schien, die der Frauen wie seine eigene, daß sie ebenso schnell satt war wie entflammt. War das richtig? War das immer und überall so? Oder lag es an ihm selbst, war er vielleicht so beschaffen, daß die Weiber ihn zwar begehrten und schön fanden, aber keine Gemeinschaft mit ihm verlangten als die kurze, wortlose im Heu oder auf dem Moos? Lag es daran, daß er auf Wanderschaft lebte und daß die Seßhaften vor dem Leben der Heimatlosen ein Grauen fühlten?
    Oder lag es allein an ihm, an seiner Person, daß die Frauen ihn wie eine hübsche Puppe begehrten und an sich drückten, dann aber alle zu ihren Männern zurückliefen, auch wenn dort Schläge sie erwarteten? Er wußte es nicht.
    Von den Frauen zu lernen wurde er nicht müde. Zwar zog es ihn mehr zu den Mädchen, zu den ganz Jungen, die noch keine Männer hatten und nichts wußten, in sie konnte er sich sehnlich verlieben; aber meistens waren die Mädchen unerreichbar, die geliebten, die schüchternen 106
    und wohlbehüteten. Aber auch von den Frauen lernte er gern. Jede ließ ihm etwas zurück, eine Gebärde, eine Art von Kuß, ein besonderes Spiel, eine besondere Art von Sichgeben oder von

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