Narziss und Goldmund
zurückgekommen.
Gott sei Dank, meine Freude ist groß. Da du mich nicht aufgesucht hast, komme ich zu dir. Störe ich dich in der Arbeit?«
Er kam näher, Goldmund richtete sich von seinem Papier auf und streckte ihm die Hand entgegen. Obwohl Erich ihn vorbereitet hatte, erschrak er bis ins Herz über den Anblick seines Freundes. Der lächelte ihm freundlich entgegen.
»Ja, ich bin wieder da. Sei gegrüßt, Narziß, wir haben uns eine Weile nicht gesehen. Entschuldige, daß ich dich noch nicht besucht habe.«
Narziß sah ihm in die Augen. Auch er sah nicht nur die Erloschenheit und jämmerliche Welke dieses Gesichts, er sah auch das andere, diesen wunderlich angenehmen Zug von Gleichmut, ja Gleichgültigkeit, von Ergebung und guter Greisenlaune. Im Lesen von Menschengesichtern erfahren, sah er auch, daß dieser so fremd gewordene und veränderte Goldmund nicht mehr ganz gegenwärtig sei, daß entweder seine Seele sich weit von der Wirklichkeit entfernt habe und auf Traumwegen gehe oder daß sie schon bei der Pforte stehe, die ins Jenseits führt.
»Bist du krank?« fragte er behutsam.
»Ja, krank bin ich auch. Ich wurde schon im Anfang meiner Reise krank, schon in den ersten Tagen. Aber du begreifst, daß ich nicht gleich wieder heimkehren mochte.
Ihr hättet mich schön ausgelacht, wenn ich so schnell wieder angerückt wäre und meine Reitstiefel wieder ausgezogen hätte. Nein, das mo chte ich also nicht Ich bin wei tergegangen und habe mich noch ein bißchen herumgetrieben, ich schämte mich, weil die Reise mir mißglückt war. Ich hatte das Maul zu voll genommen. Gut, also ich schämte mich. Nun ja, du begreif st es schon, du bist ein so kluger Mensch. Verzeih, hast du etwas gefragt? Es ist wie verhext, ich vergesse immer wieder, um was es sich eigentlich handelt. Aber das mit meiner Mutter, das hast du gut gemacht. Es hat recht weh getan, aber …«
Sein Gemurmel erlosch in einem Lächeln.
»Wir werden dich wieder gesund machen, Goldmund, es soll dir an nichts fehlen. Aber daß du nicht gleich wieder umgekehrt bist, als es dir anfing schlecht zu gehen! Du brauchst dich doch wahrlich vor uns nicht zu schämen. Du hättest sofort umkehren sollen.«
Goldmund lachte.
»Ja, jetzt weiß ich wieder. Ich traute mich nicht, so einfach wieder umzukehren. Es wäre ja eine Schande gewesen. Aber jetzt bin ich gekommen. Es geht mir jetzt wieder gut.«
»Hast du viel Schmerzen gehabt?«
»Schmerzen? Ja, Schmerzen habe ich genug. Aber schau, die Schmerzen sind ganz gut, sie haben mich zur Vernunft gebracht Ich schäme mich jetzt nicht mehr, auch vor dir nicht. Damals, als du mich im Gefängnis besucht hast, um mir das Leben zu retten, da mußte ich sehr auf die Zähne beißen, weil ich mich vor dir schämte. Das ist jetzt ganz vergangen.«
Narziß legte ihm die Hand auf den Arm, sofort schwieg er und schloß lächelnd die Augen. Er schlief friedlich ein.
Verstört lief der Abt und holte den Arzt des Hauses, Pater Anton, daß er nach dem Kranken sehe. Als sie zurückkamen, saß Goldmund schlafend an seinem Zeichentisch. Sie brachten ihn zu Bette, der Arzt blieb bei ihm.
Er fand ihn hoffnungslos krank. Man brachte ihn in eines der Krankenzimmer, Erich wurde ihm zur ständigen Wache gegeben.
Die ganze Geschichte seiner letzten Reise kam nie zutage. Einzelnes erzählte er, manches ließ sich erraten.
Oft lag er teilnahmslos, manchmal fieberte er und redete verwirrt, manchmal war er klar, und dann wurde jedesmal Narziß gerufen, dem diese letzten Gespräche mit Goldmund sehr wichtig wurden.
Einige Bruchstücke aus Goldmunds Berichten und Bekenntnissen hat Narziß überliefert, andere der Gehilfe.
»Wann die Schmerzen begonnen haben? Es war noch am Anfang meiner Reise. Ich ritt im Wald, und ich bin samt dem Gaul gestürzt und bin in einen Bach gefallen und bin eine ganze Nacht im kalten Wasser gelegen. Da drinnen, wo ich mir die Rippen gebrochen habe, da sind seither die Schmerzen. Damals war ich noch nicht sehr weit von hier, aber ich mochte nicht umkehren, es war kindisch, aber ich dachte, es würde komisch aussehen. Ich ritt also weiter, und als ich nicht mehr reiten konnte, weil es so weh tat, habe ich das Pferdchen verkauft, und dann bin ich lange Zeit in einem Hospital gelegen.
Ich bleibe jetzt hier, Narziß, es ist nichts mehr mit dem Reiten. Es ist nichts mehr mit dem Wandern. Es ist nichts mehr mit dem Tanzen und mit den Weibern. Ach, sonst wäre ich noch lang ausgeblieben, noch jahrelang. Aber wie ich
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