Narziss und Goldmund
vielleicht ein Heide war?
Und alles, was aus diesen beiden jungen Menschen einst werden würde, dafür war er mitverantwortlich.
Als Goldmund zu sich kam, war es dunkel. Er fühlte seinen Kopf leer und schwindlig. Er fühlte sich in einem Bett liegen, er wußte nicht, wo er war, er dachte auch nicht darüber nach, es war ihm gleichgültig. Aber wo war er gewesen? Wo kam er her, aus welcher Fremde von Erlebnissen? Er war irgendwo gewesen, sehr weit fort, er hatte etwas gesehen, etwas Außerordentliches, etwas Herrliches, etwas Furchtbares auch und Unvergeßliches – und doch hatte er es vergessen. Wo war es? Was war da vor ihm auf getaucht, so groß, so schmerzlich, so selig, und war wieder hingeschwunden?
Tief horchte er in sich hinein, dorthin, wo heute etwas aufgebrochen, etwas geschehen war – was war es gewesen?
Wüste Bilderknäuel wälzten sich herauf, er sah Hundeköpfe, drei Hundeköpfe, und er roch den Duft von Rosen.
O wie weh war ihm gewesen! Er schloß die Augen. O wie furchtbar weh war ihm gewesen! Er schlief wieder ein.
Wieder erwachte er, und eben noch im Entschwinden der eilig weggleitenden Traumwelt sah er es, fand das Bild wieder und zuckte wie in schmerzlicher Wollust zusam men. Er sah, er war sehend geworden. Er sah Sie. Er sah die Große, Strahlende, mit dem voll blühenden Munde, mit den leuchtenden Haaren. Er sah seine Mutter. Zugleich meinte er eine Stimme zu hören: »Du hast deine Kindheit vergessen.« Wessen Stimme war doch dies? Er horchte, er sann und fand. Es war Narziß. Narziß? Und in einem Augenblick, mit einem jähen Ruck war alles wieder da: er erinnerte sich, er war wissend. O Mutter, Mutter! Berge von Schutt, Meere von Vergessenheit waren weg, waren verschwunden; aus königlichen, hellblauen Augen blickte die Verlorene ihn wieder an, die unsäglich Geliebte.
Pater Anselm, der im Lehnstuhl neben dem Bett einge schlummert war, erwachte. Er hörte den Kranken sich bewegen, hörte ihn atmen. Vorsichtig erhob er sich.
»Ist jemand da?« fragte Goldmund.
»Ich bin es, sei ohne Sorge. Ich mache Licht.«
Er brachte die Ampel zum Brennen, der Schein fiel über sein faltiges wohlwollendes Gesicht.
»Bin ich denn krank?« fragte der Jüngling.
»Du bist ohnmächtig gewesen, mein Söhnchen. Gib mir die Hand, wir wollen nach dem Puls sehen. Wie fühlst du dich?«
»Gut. Ich danke Euch, Pater Anselm, Ihr seid sehr gütig.
Es fehlt mir nichts mehr, ich bin nur müde.«
»Natürlich bist du müde. Bald wirst du wieder schlafen.
Nimm vorher einen Schluck heißen Wein, er steht bereit.
Wir wollen einen Becher miteinander leeren, mein Junge, auf gute Kameradschaft.«
Sorglich hatte er ein Krüglein Glühwein bereitgehalten und in ein Gefäß mit heißem Wasser gestellt.
»Da haben wir also beide eine ganze Weile geschlafen«, lachte der Arzt. »Ein feiner Krankenwärter, wirst du denken, der sich nicht munter halten kann. Na ja, wir sind Menschen. Jetzt trinken wir ein wenig von diesem Zauber trank, mein Kleiner, nichts Hübscheres als so eine kleine heimliche Zecherei in der Nacht. Also Prosit!«
Goldmund lachte, stieß an und kostete. Der warme Wein war mit Zimmet und N elken gewürzt und mit Zucker ge süßt, das hatte er noch nie getrunken. Es fiel ihm ein, daß er schon einmal krank gewesen sei, da hatte Narziß sich seiner angenommen. Diesmal war es Pater Anselm, der lieb mit ihm war. Es gefiel ihm sehr, es war höchst angenehm und wunderlich, beim Lämpchenschein dazuliegen und mitten in der Nacht mit dem alten Pater einen Becher süßen warmen Wein zu trinken.
»Hast du Bauchweh?« fragte der Alte.
»Nein.«
»Ja, ich dachte, du müßtest Kolik haben, Goldmund.
Also damit ist es nichts. Zeig deine Zunge. Na, es ist gut, euer alter Anselm hat wieder einmal nichts gewußt. Du bleibst morgen hübsch liegen, ich komme dann und untersuche dich. Und mit dem Wein bist du schon fertig? Recht so, es möge dir wohl bekommen. Laß mich sehen, ob noch etwas da ist. Zu einem halben Becher für jeden von uns reicht es noch, wenn wir redlich teilen. – Du hast uns schön erschreckt, Goldmund! Liegst da im Kreuzgang wie eine Kinderleiche. Hast du wirklich kein Bauchweh?«
Sie lachten und teilten redlich den Rest des Krankenweins, der Pater machte seine Späße, und Goldmund blickte ihn dankbar und belustigt aus den wieder hell gewordenen Augen an. Dann ging der Alte fort, um sich zu Bett zu legen.
Goldmund lag noch eine Weile wach, langsam traten die Bilder wieder aus seinem
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