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Narziss und Goldmund

Titel: Narziss und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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hindurch, kamen wie Boten mit holden Glücksnach richten aus einer schöneren Wirklichkeit, schwanden schwänzelnd und schattenhaft, waren dahin, hatten statt Botschaft neue Geheimnisse gebracht. Oft träumte er schwim mende Fische und fliegende Vögel, und jeder Fisch oder Vogel war sein Geschöpf, war von ihm abhängig und lenkbar wie sein Atemzug, strahlte wie ei n Blick, wie ein Gedanke von ihm aus, kehrte in ihn zurück. Von einem Garten träumte er oft, einem Zaubergarten mit märchenhaften Bäumen, über großen Blumen, tiefen blaudunklen Höhlen; zwischen den Gräsern blickten funkelnde Augen unbekannter Tiere, an den Ästen glitten glatte sehnige Schlangen; an Reben und Gesträuchen hingen groß und feuchtglänzend riesige Beeren, die schwollen beim Pflücken in seiner Hand und vergossen warmen Saft wie Blut oder hatten Augen und bewegten sie schmachtend und listig; er lehnte sich tastend an einen Baum, griff nach einem Ast und sah und fühlte zwischen Stamm und Ast ein Gekräusel wirrer dichter Haare nisten wie das Haar in der Höhle einer Achsel. Einmal träumte er von sich selber oder von seinem Namensheiligen, träumte von Goldmund, Chrysostomus, der hatte einen Mund aus Gold und sprach mit dem goldenen Munde Worte, und die Worte waren kleine schwärm ende Vögel, in flatternden Scha ren flogen sie davon.
    Einmal träumte er: er war groß und erwachsen, saß aber wie ein Kind am Boden, hatte Lehm vor sich und knetete wie ein Kind aus dem Lehm Figuren: ein Pferdchen, einen Stier, einen kleinen Mann, eine kleine Frau. Das Kneten machte ihm Spaß, und er machte den Tieren und Männern lächerlich große Geschlechtsteile, im Traume kam ihm das sehr witzig vor. Dann wurde er des Spiels müde und ging weiter, da fühlte er hinter sich etwas leben, etwas Lautloses, Großes sich nähern, und sah zurück, und sah mit tiefem Erstaunen und mit großem Schrecken, der aber nicht ohne Freude war, seine kleinen Lehmfiguren groß und lebendig geworden. Gewaltig groß, stumme Riesen, marschierten die Figuren an ihm vorbei, noch immer wachsend, riesig und schweigend zogen sie weiter, in die Welt hinein, hoch wie Türme.
    In dieser Traumwelt lebte er mehr als in der wirklichen.
    Die wirkliche Welt: Schuls aal, Klosterhof, Bibliothek, Schlafsaal und Kapelle, w ar nur Oberfläche, nur eine dün ne zitternde Haut über der traumgefü llten, überwirkli chen Bilderwelt. Ein Nichts war genug, um in diese dünne Haut ein Loch zu stoßen: etwas Ahnungsvolles im Klang eines griechischen Wortes mitten in der nüchternen Lektion, eine Welle Duft aus der Kräutertasche des botanisie renden Paters Anselm, der Blick auf eine steinerne Blatt ranke, die oben aus der Säule eines Fensterbogens quoll – solche kleine Anreize genügten schon, um die Haut der Wirklichkeit zu durchstoßen und hinter der friedlich dürren Wirklichkeit die tosenden Abgründe, Ströme und Milchstraßen jener Seelenbilderwelt zu entfesseln. Ein lateinisches Initial wurde zum duftenden Gesicht der Mutter, ein langgezogener Ton im Ave zum Paradiestor, ein griechischer Buchsta be zum rennenden Pferd, zur bäu menden Schlange, still wälzte sie sich unter Blumen davon, und schon stand an ihrer Stelle wieder die starre Seite der Grammatik.
    Selten sprach er davon, nur wenige Male gab er Narziß eine Andeutung von dieser Traumwelt.
    »Ich glaube«, sagte er einmal, »daß ein Blumenblatt oder ein kleiner Wurm auf dem Wege viel mehr sagt und enthält als alle Bücher der ganzen Bibliothek. Mit Buchstaben und mit Worten kann man nichts sagen. Manchmal schreibe ich irgendeinen griechischen Buchstaben, ein Theta oder Omega, und indem ich die Feder ein klein wenig drehe, schwänzelt der Buchstabe und ist ein Fisch und erinnert in einer Sekunde an alle Bäche und Ströme der Welt, an alles Kühle und Feuchte, an den Ozean Homers und an das Wasser, auf dem Petrus wandelte, oder der Buchstabe wird ein Vogel, stellt den Schwanz, sträubt die Federn, bläst sich auf, lacht, fliegt davon. – Nun, Narziß, du hältst wohl nicht viel von solchen Buchstaben? Aber ich sage dir: mit ihnen schrieb Gott die Welt.«
    »Ich halte viel von ihnen«, sagte Narziß traurig. »Es sind Zauberbuchstaben, man kann alle Dämonen mit ihnen beschwören. Nur freilich zum Betreiben der Wissenschaften sind sie ungeeignet. Der Geist liebt das Feste, Gestaltete, er will sich auf seine Zeichen verlassen können, er liebt das Seiende, nicht das Werdende, das Wirkliche und nicht das Mögliche. Er duldet

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