Narziss und Goldmund
Geschenken in den Händen stand er da im Schnee, unentschlossen, dann zog er die Jacke aus und schlupfte in das Wollzeug, es gab angenehm warm. Schnell zog er sich wie der an, verbarg das Gold stück in der sichersten Tasche, schnallte den Riemen um und lief weiter querfeldein, es war Zeit, einen Rastort zu erreichen, er war sehr müde geworden. Aber zum Bauern mochte er nicht, obwohl es dort wärmer gewesen und wohl auch Milch zu finden gewesen wäre, er mochte nicht schwatzen und ausgefr agt werden. In der Scheune über nachtete er, zog früh bei Frost und scharfem Winde weiter, von der Kälte zu großen Märschen getrieben. Viele Nächte träumte er vom Ritter und seinem Schwert und den zwei Schwestern, viele Tage lang drückte ihm Einsamkeit und Schwermut das Herz.
In einem Dorfe, wo es bei armen Bauern kein Brot, aber eine Hirsesuppe gab, fand er an einem der nächsten Abende Nachtlager. Neue Erlebnisse warteten hier auf ihn. Die Bäuerin, deren Gast er war, kam in der Nacht mit einem Kinde nieder, und Goldmund war dabei anwesend, man hatte ihn aus dem Stroh geholt, damit er helfe, obwohl sich am Ende nichts für ihn zu tun fand, als daß er das Licht hielt, während die Hebamme beschäftigt war. Er sah zum erstenmal eine Geburt und hing mit erstaunten, glühenden Augen am Gesicht der Gebärenden, plötzlich um ein neues Erlebnis reicher geworden. Wenigstens schien das, was er hier im Gesicht der Gebärenden wahrnahm, ihm sehr bemerkenswert. Beim Schein des Kienspans nämlich, während er mit seiner großen Neugierde in das Gesicht der kreißenden Frau starrte, die in ihren Schmerzen lag, fiel ihm etwas Unerwartetes auf: die Linien im verzerrten Gesicht der Schreienden waren wenig verschieden von jenen, die er im Augenblick des Liebesrausches auf anderen Frauengesichtern gesehen hatte! Der Ausdruck großen Schmerzes in einem Gesicht war heftiger zwar und mehr entstellend als der Ausdruck großer Lust – aber er war im Grunde nicht von ihm verschieden, es war dasselbe etwas grinsende Sichzusammenzie hen, dasselbe Aufglühen und Erlöschen. Wunderbar, ohne daß er begriff warum, überraschte ihn diese Einsicht, daß Schmerz und Lust einander ähnlich sein konnten wie Geschwister.
Noch etwas anderes erleb te er in diesem Dorfe. Der Nach barsfrau wegen, deren er am Morgen nach der Geburtsnacht ansichtig geworden war und welche alsbald auf die Frage seiner verliebten Augen Antwort gab, blieb er eine zweite Nacht im Dorf und machte die Frau sehr glücklich, denn es war nach langer Zeit und nach allen den aufreizenden und wieder enttäuschenden Verliebtheiten dieser letzten Wochen das erstemal, daß sein Trieb wieder Stillung fand. Und diese Verzögerung führte zu einem neuen Erlebnis, sie war schuld, daß er am zweiten Tage in eben jenem Bauerndorf einen Kameraden antraf, einen langen verwegenen Kerl namens Viktor, der halb wie ein Pfaff und halb wie ein Schnapphahn aussah, der ihn mit lateinischen Brocken begrüßte und sich als fahrenden Schüler zu erkennen gab, obwohl er über die Schülerjahre lang hinaus war.
Dieser spitzbärtige Mann begrüßte Goldmund mit einer gewissen Herzlichkeit u nd mit einem Landstreicher humor, mit dem er den jungen Kameraden rasch gewann.
Auf dessen Frage, wo er denn Schüler gewesen sei und wohin seine Reise ziele, deklamierte der sonderbare Bruder:
»Hohe Schulen hab ich, bei meiner armen Seele, genug besucht, in Köln und Paris bin ich gewesen, und über die Metaphysik der Leberwurst ist selten Gehaltvolleres gesagt worden, als ich es in meiner Dissertation zu Leyden tat. Seither, amice, laufe ich armer Swinehund durchs deutsche Reich, von unermeßlichem Hunger und Durst die liebe Seele gefoltert, ich bin Bauernschreck genannt, und meine Profession ist es, die jungen Weiber im Latein zu unterweisen und die Würste vom Rauchfang in meinen Bauch zu zaubern. Mein Ziel is t das Bett der Bürgermeiste rin, und wenn ich nicht vorher von den Krähen gefressen werde, so wird es mir kaum erspart bleiben, mich dem lästigen Beruf eines Erzbischofs widmen zu müssen. Besser, kleiner Kollege, ist’s, von der Hand in den Mund zu leben als umgekehrt, und schließlich hat noch niemals ein Hasenbraten sich wohler gefühlt als in meinem armen Magen. Der König von Böhmen ist mein Bruder, und unser aller Vater ernähret ihn wie mich, aber das Beste dazu läßt er mich selber tun, und vor gestern wollte er mich, harther zig wie Väter sin d, dazu mißbrauchen, einem halb verhungerten Wolf
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