Narziss und Goldmund
das Leben zu retten. Hätte ich das Vieh nicht totgeschlagen, Herr Kollege, du wärest nie der Ehre teilhaftig geworden, meine angenehme Bekanntschaft zu machen. In saecula saeculorum, Amen.«
Goldmund, noch wenig mit dem Galgenhumor und dem Vagantenlatein dieser Gattung bekannt, fürchtete sich zwar ein wenig vor dem langen struppigen Flegel und dem wenig angenehmen Gelächter, mit dem er seine eigenen Späße begleitete, aber etwas an diesem hartgesottenen Landstreicher gefiel ihm doch, und er ließ sich leicht dazu bereden, die Fahrt gemeinsam fortzusetzen, denn mochte das mit dem erschlagenen Wolf nun geflunkert sein oder nicht, auf jeden Fall war man zu zweien stärker und hatte weniger zu fürchten. Aber ehe sie weiterzogen, wollte Bruder Viktor mit den Bauern Latein reden, wie er es nannte, und quartierte sich bei einem Bäuerchen ein. Er machte es nun nicht so, wie Goldmund es bisher auf allen Wanderungen gehalten hatte, wenn er in einem Gehöft oder Dorf zu Gast gewesen war, sondern er strich von Hütte zu Hütte, fing mit jedem Weibe ein Geplauder an, steckte die Nase in jeden Stall und jede Küche und schien nicht gesonnen, den Weiler eher zu verlassen, als bis jedes Haus ihm einen Zoll und Tribut entrichtet hatte. Er erzählte den Bauern vom Krieg in Welschland und sang am Herd das Lied von der Paviaschlacht, er empfahl den Gro ß müttern Mittel gegen Gliedersucht und Zahnausfall, er schien alles zu wissen und überall gewesen zu sein, er stopfte sich das Hemd überm Gürte l zum Platzen voll mit geschenk ten Brotstücken, Nüssen, Birnenschnitzen. Verwundert sah Goldmund ihm zu, wie er unermüdlich seinen Feldzug voll führte, wie er die Leute bald erschreckte, bald durch Schmeicheln gewann, wie er sich aufspielte und bestaunen ließ, wie er bald Latein radebrechte und den Gelehrten spielte, bald durch eine buntscheckig freche Gaunersprache Eindruck machte, wie er mitten im Erzählen oder Gelehrtreden mit scharfen wachsamen Augen jedes Gesicht, jede sich öffnende Tischlade, jede Schüssel und jeden Laib registrierte. Er sah, dies war ein gerissener, mit allen Wassern gewaschener Heimatloser, ein Mann, der viel gesehen und erlebt, viel gehungert und gefroren hatte und im bittern Kampf um ein karges gefährdetes Leben klug und frech geworden war. So also wurden die, die lange Zeit auf Wanderschaft lebten. Würde auch er selbst einmal so werden?
Andern Tages zogen sie weiter, zum erstenmal kostete Goldmund das Wandern zu zweien. Drei Tage waren sie miteinander unterwegs, und Goldmund fand dies und jenes von Viktor zu lernen. Die zum Instinkt gewordene Gewohnheit, alles auf die drei großen Bedürfnisse des Heimatlosen zu beziehen: die Sicherung gegen Lebensgefahr, das Finden eines Nachtlagers und das Beschaffen von Nahrung, hatte den seit so vielen Jahren sich Herumtrei benden vieles gelehrt. Aus unscheinbarsten Anzeichen die Nähe menschlicher Wohnungen zu erkennen, auch im Winter, auch in der Nacht, oder jeden Winkel in Wald und Feld haarscharf auf seine Eignung zum Rastort oder Schlafplatz zu prüfen, oder beim Betreten einer Stube im Augenblick den Grad von Wohlstand oder Elend zu wittern, in dem der Besitzer l ebte, sowie den Grad seiner Gut herzigkeit, oder seiner Neugierd e, oder seiner Furcht – das waren Künste, in welchen Viktor es zur Meisterschaft gebracht hatte. Manches Lehrreiche erzählte er dem jungen Kameraden. Als Goldmund ihm einmal entgegnete, er möge sich den Menschen nicht mit so absichtsvoller Überlegung nähern, und es sei ihm, obwohl er alle diese Künste nicht kenne, auf seine freundliche Bitte hin nur sehr wenige Male das Gastrecht verweigert worden, da lachte der lange Viktor und sagte gutmütig: »Nun ja, Goldmundchen, dir mag es schon glücken, du bist so jung und hübsch und siehst so unschuldig aus, das ist ein guter Quartierzettel. Den Weibern gefällst du, und die Männer denken: ach Gott, der ist harmlos, der tut niemand was zu leid. Aber schau, Brüderchen, der Mensch wird älter, und das Kindergesicht kriegt einen Bart und kriegt Falten, und die Hosen kriegen Löcher, und unversehens ist man ein häßlicher und unwillkommener Gast, und statt der Jugend und Unschuld schaut einem bloß noch der Hunger aus den Augen, dann muß einer hart geworden sein und etwas von der Welt gelernt haben, sonst liegt er bald auf dem Mist, und die Hunde schiffen ihn an. Aber mir scheint, du wirst ohnehin nicht lang so he rumtraben, du hast zu feine Hän de, du hast zu hübsche
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