Narziss und Goldmund
weiterzog, lag der Schnee grau und krank, und die Luft war feuchtschwer, in der Höhe hörte man den Tauwind stöhnen.
Zehntes Kapitel
Wieder trieb das Eis die Flusse hinab, wieder duftete es unterm faulen Laub nach Veilchen, wieder lief Goldmund durch die bunten Jahreszeiten, trank mit unersättlichen Augen die Wälder, Berge und Wolken in sich ein, wanderte von Hof zu Hof, von Dorf zu Dorf, von Frau zu Frau, saß manchen kühlen Abend beklommen und mit Weh im Herzen zu Füßen eines Fensters, hinter dem Licht brannte und aus dessen rotem Schein ihm hold und unerreichbar alles strahlte, was es an Gluck, an Heimat, an Frieden auf Erden geben mochte. Alles kam wieder und wieder, was er nun schon so wohl zu kennen glaubte, alles kam wieder und war doch jedesmal anders: das lange Wandern über Feld und Heide oder auf steiniger Straße, das sommerliche Schlafen im Walde, das Schlendern in Dörfern, hinter den Reihen der jungen Mädchen her, die Hand in Hand vom Heuwenden oder vom Hopfenlesen heimkamen, das erste Schauern des Herbstes, die bösen ersten Fröste – alles kam wieder, einmal, zweimal, endlos lief das bunte Band vor seinen Augen hin.
Mancher Regen und mancher Schnee war auf Goldmund gefallen, als er eines Tages durch einen lichten, aber schon hellgrün knospenden Buchenwald bergaufwärts stieg und oben vom Kamm des Berges aus eine neue Landschaft vor sich liegen sah, die seine Augen froh machte und in seinem Herzen eine Flut von Ahnungen, Begierden und Hoffnungen erregte. Seit Tagen wußte er sich dieser Gegend nahe und erwartete sie, nun überraschte sie ihn in dieser Mittagsstunde, und was er von ihr bei dieser ersten Begegnung durchs Auge empfing, das bestätigte und bestärkte seine Erwartungen. Er sah zwischen den grauen Stämm en und dem sacht wehen den Gezweige in ein braun und grünes Tal hinab, in dessen M itte ein breiter Strom bläulich glasig schimmerte. Nun, so wußte er, war es für lange Zeit zu Ende mit dem Wandern ohne Straße, durch Gegenden voll Heide, Wald und Einsamkeit, wo nur selten ein Hof oder ein armes Dörfchen anzutreffen war. Da unten strömte der Fluß, und den Fluß entlang führte eine der schönsten und berühmtesten Straßen des Reichs, da lag ein reiches fettes Land, da fuhren Flöße und Boote, und die Straße führte zu schönen Dörfern, Burgen, Klöstern und reichen Städten, und wer wollte, der konnte auf dieser Straße viele Tage und Wochen reisen und brauchte nicht zu besorgen, daß sie wie die elenden Bauernsträßchen plötzlich irgendwo in einem Walde oder im feuchten Ried sich verliere. Es kam etwas Neues, und er freute sich darauf.
Schon am Abend dieses Tages war er in einem schönen Dorf, das lag zwischen dem Strom und den roten Rebenhängen an der großen Fahrstraße, an den Giebelhäusern war das hübsche Balkenwerk ro t gestrichen, es gab ge wölbte Einfahrtstore und steinerne Treppengäßchen, eine Schmiede warf roten Feuerschein auf die Straße und helles Amboßgeläute. Neugierig trieb sich der Ankömmling in allen Gassen und Winke ln herum, schnupperte an Keller toren den Fässer - und We ingeruch und am Flußufer den kühlen fischigen Wasserduft, betrachtete Gotteshaus und Friedhof und unterließ nicht, sich nach einer günstigen Scheune umzusehen, wo m an vielleicht für die Nacht ein steigen konnte. Vorher aber wollte er es im Pfarrhaus mit der Bitte um Zehrung versuchen. Da war ein feister rotköpfiger Pfarrer, der ihn ausfragte, und dem er mit einigen Verschweigungen und e inigem Fabulieren seinen Lebens lauf erzählte, darauf wurde er freundlich aufgenommen und mußte den Abend, mit gutem Essen und Wein versorgt, in langen Gesprächen mit dem Herrn hinbringen.
Andern Tags reiste er auf der Straße weiter, die dem Stro me folgte. Er sah Flöße und Lastkähne fahren, er überholte Fuhrwerke, manches nahm ihn eine Strecke weit mit, schnell und übervoll von Bildern liefen die Frühlingstage weg, Dörfer und kleine Städtchen nahmen ihn auf, Frauen lächelten hinter Gartenzäunen oder knieten im braunen Erdreich und steckten Pflanzen, Mädchen sangen auf abendlichen Dorfgassen.
In einer Mühle eine junge Magd gefiel ihm so sehr, daß er zwei Tage in der Gegend blieb und sie umstrich, sie lachte und schwatzte gerne mit ihm, ihm schien, er wäre am liebsten ein Müllerbursch und bliebe immer dort. Er saß bei den Fischern, er half den Fuhrleuten beim Füttern und Striegeln, bekam Brot und Fleisch dafür und durfte mitfahren. Nach
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