Narziss und Goldmund
schmerzlichen Mund die Augen blickten und die holde Stirn sich wölbte, das war alles so lebendig, so schön und innig und beseelt, wie er es nie gesehen zu haben meinte. Diesen Mund zu betrachten, diese liebe innige Bewegung des Halses, daran konnte er sich nicht ersättigen. Ihm schien, er sehe da etwas stehen, was er in Träumen und Ahnungen oft und oft schon gesehen, wonach er oft sich gesehnt habe. Mehrmals wandte er sich zum Gehen, und immer zog es ihn wieder zurück.
Da er endlich doch gehen wollte, stand hinter ihm der Pater, dem er vorher gebeichtet hatte.
»Du findest sie schön?« fragte er freundlich
»Unaussprechlich schön«, sagte Goldmund
»Manche sagen das«, sagte der Geistliche »Und wieder andere sagen, das sei keine rechte Mutter Gottes, sie sei viel zu neumodisch und weltlich, und alles sei übertrieben und unwahr. Man hört vie l darüber streiten. Dir also ge fällt sie, das freut mich. Sie steht erst seit einem Jahr in unserer Kirche, ein Gönne r unseres Hauses hat sie gestif tet. Sie ist vom Meister Niklaus gemacht.«
»Meister Niklaus? Wer ist das, wo ist er? Kennt Ihr ihn? O
bitte, sagt mir etwas von ihm! Es muß ein herrlicher und begnadeter Mann sein, der so etwas zu schaffen vermag.«
»Ich weiß nicht viel von ihm. Er ist Bildschnitzer in unserer Bischofsstadt, eine Tagreise von hier, und hat als Künstler einen großen Ruf. Künstler pflegen keine Heilige zu sein, und auch er ist wohl keiner, aber ein begabter und hochgesinnter Mann ist er gewiß. Gesehen habe ich ihn manchmal.«
»Oh, Ihr habt ihn gesehen! Oh, wie sieht er aus?«
»Mein Sohn, du scheinst ja ganz bezaubert von ihm zu sein. Nun, so suche ihn auf und sage ihm einen Gruß vom Pater Bonifazius.«
Goldmund dankte überschwenglich. Lächelnd ging der Pater davon, er aber stand noch lange vor dieser geheimnisvollen Figur, deren Brust zu atmen schien und in deren Gesicht so viel Sch merz und so viel Süße beisammen wohnte, daß es ihm das Herz zusammenzog.
Verwandelt trat er aus der Kirche, durch eine ganz und gar veränderte Welt trugen ihn seine Schritte. Seit jenem Augenblick vor der süßen, heiligen Figur aus Holz besaß Goldmund etwas, was er noch nie besessen, was er an andern so oft belächelt oder beneidet hatte ein Ziel! Er hatte ein Ziel, und vielleicht würde er es erreichen, und vielleicht würde dann sein ganzes, zerfahrenes Leben einen hohen Sinn und Wert bekommen. Mit Freude und mit Furcht durchdrang ihn dies neue Gefühl und beflügelte seine Schritte. Diese schöne heitere Landstraße, auf der er ging, war nicht mehr, was sie gestern gewesen war, ein festlicher Tummelplatz und bequemer Aufenthalt, sie war nur noch eine Straße, war der Weg zur Stadt, der Weg zum Meister. Ungeduldig lief er. Noch vor Abend langte er an, sah hinter den Mauern Türme prangen, sah gemeißelte Wappen und gemalte Sch ilder überm Tor, schritt mit po chendem Herzen hindurch und achtete kaum auf den Lärm und das frohe Gedränge der Gassen, auf die Ritter zu Pferde, auf die Wagen und Karossen. Nicht Ritter noch Wagen, nicht Stadt noch Bischof waren ihm wichtig. Gleich den ersten Menschen unterm Tore fragte er, wo der Meister Niklaus wohne, und war schwer enttäuscht, daß der nichts von ihm wußte.
Er kam auf einen Platz voll stattlicher Hauser, viele waren bemalt oder mit plastischem Bildwerk geschmückt.
Über einer Haustür stand groß und prangend die Figur eines Landsknechtes, mit kräftig lachenden Farben. Er war nicht so schön wie die Figur in jener Klosterkirche, aber er stand auf eine Art da und d rückte die Waden heraus und streckte das bärtige Kinn in die Welt, daß Goldmund doch dachte, auch diese Gestalt könnte derselbe Meister gemacht haben. Er ging in das Haus hinein, klopfte an Türen, stieg Treppen hinan, stieß endlich auf einen Herrn im pelzbesetzten Sammetrock, den fragte er, wo er den Meister Niklaus finden könne. Was er denn von ihm wolle, fragte der Herr zurück, und Goldmund hatte Mühe, sich zu be herrschen und nur zu sagen, er habe einen Auftrag an ihn.
Der Herr nannte ihm nun die Gasse, wo der Meister wohne, und bis Goldmund sich dahin durchgefragt hatte, war es Nacht geworden. Beklommen und doch sehr glücklich stand er vor dem Haus des Meisters, schaute zu den Fenstern hinauf und wäre beinah hineingelaufen. Doch fiel ihm ein, daß es schon spät und daß er verschwitzt und staubig vom Tagesmarsch sei, und er bezwang sich und wartete.
Aber er stand noch lange Zeit vor dem Hause. Er
Weitere Kostenlose Bücher