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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Koschka
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beschwichtigend die Arme hebt.
    Ich beobachte die Vorgänge seitlich aus den Kulissen und verfolge die Livesendung auf einem kleinen Monitor, um den mehrere bohnenstangendürre Produktionsassistenten hektisch herumtänzeln. Als mir einer vor lauter Hysterie schmerzhaft auf die Zehen tritt, wirft er mir einen Blick zu, als wäre ich ein lästiges Insekt.
    »Die Gäste warten üblicherweise am Portal«, fährt er mich an und deutet auf das riesige nachgebaute Schlosstor, das – durch grässliche Toneinspielungen unterstützt – als spektakulärer Auftritt für die Audienz dient. »Wo ist überhaupt dein Huhn?«
    Von all den absurden Dingen, die man in den vergangenen dreiunddreißig Jahren zu mir gesagt hat, ist das mit Abstand das Absurdeste.
    »Mein Huhn?«
    »Keeeeevin«, mault mein Gegenüber, worauf ein verschwitzter Junge mit knallgelbgefärbten Haaren und Abertausenden Sommersprossen herbeisprintet. »Das Requisitenhuhn, dalli, dalli.«
    Kevin verschwindet mit hochrotem Gesicht. Ich sehe ihm nach und frage mich nicht zum ersten Mal an diesem Donnerstag, welche Abzweigung ich in den letzten paar Wochen verpasst habe, dass ich im Fernsehstudio des Wahnsinns gelandet bin, anstatt in Giesswein-Puschen auf dem Sofa zu liegen. Seit Tagen werde ich aus allen Richtungen gebrieft, gestylt, promotet und getaggt. Meine Augenbrauen wurden in Form gezupft, meine Schuhe in der richtigen Größe bereitgestellt, mein Outfit ist modisch einwandfrei und mein Kopf kurz davor, angesichts des Info-Overloads zu implodieren.
    »Dotti …«
    »Was noch?«
    Ramy, der seitdem wir das Fernsehzentrum betreten haben, geschäftig herumwuselt, Hände schüttelt und sein Zahnpastagrinsen in der Gegend herumzeigt, ignoriert meinen Tiefkühltonfall und zieht mich außer Hörweite der Magerjoghurtassistenten.
    »Dotti, du bekommst jetzt gleich ein Huhn. Wenn du die Sendung gesehen hast, wirst du dich daran erinnern: Jeder Gast muss das Huhn zur Audienz mitbringen und dem König als Steuer überreichen. Keine Sorge«, ergänzt er, als ich etwas einwenden will, »es handelt sich um dressierte Hühner.«
    Ich schüttle nur stumm den Kopf, als Kevin, inzwischen mehrere Nuancen roter, schnaufend neben mir stehen bleibt und mir ein Huhn in die Arme drückt. Das Tier ist braun- und weißgefleckt und verhält sich bis auf gelegentliches Kopfnicken ruhig. Seine Brust hebt und senkt sich rhythmisch.
    »Ramy«, hauche ich, »das Huhn ist echt.« Ich dachte immer, die Viecher sind aus Plastik.
    »Natürlich ist das Huhn echt. Das ist ja der Gag. Hast du deine Vorladung?«
    »Welche Vorladung?« Ich lasse das Tier nicht aus den Augen. Jede Sekunde rechne ich damit, dass es zu gackern oder – schlimmer – zu flattern beginnt.
    »Das goldene Kuvert, das ich dir gegeben habe.«
    »Ach so, das, ja, das hab ich, aber Ramy …«
    Etwas flattert, ganz eindeutig. Doch es ist nicht das Huhn.
    »Pass auf: Der Ablauf ist immer gleich. Du wirst zur Audienz aufgerufen, betrittst das Studio durchs Schlosstor, kniest dich auf den Schemel, überreichst Reifenstein das Huhn und verneigst dich mit den Worten: ›Majestät, Untertanin Dorothy Wilcek meldet sich zur Vorsprache.‹ Danach wird er deine Vorladung verlangen und dich dem Volk alias Studiopublikum vorstellen. Alles klar?«
    »Ja. Nein. Ramy«, rufe ich, als der Radiomoderator Anstalten macht, mich allein zu lassen.
    »Ich bin in der Nähe«, beruhigt er mich, nimmt mich bei den Schultern und sieht mir prüfend in die Augen. »Du bist eine starke Frau, Dotti, du schaffst das.«
    »Das ist es nicht«, flüstere ich. »Ich …«
    »Frau Wilcek, auf Position bitte.«
    Der mürrische Produktionsassistent von vorhin pikst mich mit der Antenne seines Funkgerätes in den Arm. Ramy lächelt mir aufmunternd zu. Ich weiß nicht, wie er es macht, aber seine Frisur sitzt trotz Hektik, als wäre sie in Öl gepinselt. Ich werde mitsamt Huhn zum sogenannten Portal geschoben und von einem hyperaktiven Regisseur darauf aufmerksam gemacht, dass ich, sobald mein Name aufgerufen wird, auftreten muss.
Keine Sekunde zu früh und keine Sekunde zu spät.
Ob ich das verstanden hätte. Ich nicke und konzentriere mich darauf, mir das Huhn in meinem Arm als Plüschtier von »Tiere mit Herz« vorzustellen.
    Reifenstein spielt gerade einen Sketch mit seinem Assistenten, dem »Kanzler«, was mich merkwürdigerweise an Lorenz denken lässt. Ob er immer noch sauer ist? Er hat sich in der vergangenen Woche äußerst reserviert verhalten.

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