Naschmarkt
Bis auf ein gelegentliches Nicken war ihm kaum eine Reaktion abzuringen, dafür hing er ständig am Handy oder am Computer. Einmal habe ich ihn dabei beobachtet, wie er statt aus seinem Starbucks-Becher einen tiefen Schluck aus dem Bleistiftspitzer nahm. Dabei summte er etwas, das sich verdächtig nach
Alle Vöglein sind schon da
anhörte.
Während ich auf meinen Auftritt warte, höre ich plötzlich eine leise, aber mir bekannte Männerstimme:
»… habe dir gesagt, das geht nicht, hörst du eigentlich zu, verd… nein, nein, ich … Mist!«
Der Fluch ist laut genug, dass ich den Sprecher lokalisieren kann. Er steht ein Stück weiter hinten in den Kulissen. Leider blockiert ein großer Kamerawagen die Sicht. Woher kenne ich diese Stimme bloß? Ich hasse diese Momente, in denen einen nur noch ein hauchdünnes Brett vor dem Kopf oder der Blick durch ein Milchglasfenster vom endgültigen Begreifen trennt. Vorsichtig, um das Huhn nicht aufzuschrecken und den Regisseur, der sich mit einem Kameramann unterhält, nicht auf mich aufmerksam zu machen, bewege ich mich mit winzigen Schritten rückwärts. Vielleicht hat der Sprecher längst das Weite gesucht. Er klang nicht so, als fühlte er sich absolut wohl in seiner Haut. Eigentlich hatte er eine ähnliche Dringlichkeit im Tonfall wie … Ali Baba!
Vor Aufregung drücke ich das Huhn eine Spur zu fest, worauf es unruhig mit den Flügeln schlägt.
»Alles gut, Glucke«, sage ich leise, hauptsächlich um mich selbst zu beruhigen, »kein Grund, nervös zu wer-den.«
Die Henne windet sich ein bisschen, übt sich aber nach ein paar Schrecksekunden wieder in dressierter Lethargie. Ich habe inzwischen den Kamerawagen erreicht und lehne mich vorsichtig dagegen. Er bewegt sich ein Stück, gerade genug, dass ich im geeigneten Winkel stehe, um zwischen zwei Streben durchzuspähen. Mein Herz klopft mit dem des Hühnchens um die Wette.
Der Mann hat sich inmitten mehrerer nicht benötigter Kulissenteile niedergelassen. Eine Hand in der Hosentasche, starrt er düster auf sein Handydisplay. Die altmodisch geschnittenen Koteletten reichen bis fast an sein breites Froschmaul heran. Das protzige Headset fehlt, trotzdem habe ich ihn sofort erkannt: Es ist Sorina Loos’ Liebhaber! Mister Rücksichtslos mit dem goldenen Ring am Finger. Bleibt nur eine Frage: Wer ist er, und was macht er hier? Ich drehe den Kamerawagen noch ein wenig weiter, um besser sehen zu können.
Froschmaul hat sich unterdessen nicht von seinem Platz wegbewegt, im Gegenteil, er sieht so aus, als ob er demnächst den passenden Teich um sich herum ausspuckt. Im Kopfkino stelle ich mir bildlich vor, wie er, von lästigen Fliegen umschwirrt, auf einem Seerosenblatt hockt und Flüche quakt.
»Hier bist du.«
Ich zucke zusammen. Es gelingt mir gerade noch, mich zu ducken und hinter dem Sitz des Kamerawagens zu verstecken, als die Frau an mir vorbeirauscht, zielstrebig auf Froschmaul zugeht und mit in die schlanken Hüften gestemmten Fäusten vor ihm stehen bleibt. Das Huhn gibt einen gurrenden Laut von sich, der eine aufkeimende Ungeduld meiner gefiederten Freundin verrät. Von verdeckten Ermittlungen steht bestimmt nichts in ihrem Vertrag. Mit der rechten Hand schnappe ich kurz entschlossen nach dem Hühnerschnabel und halte ihn fest zu. Keine gute Idee. Das Tier windet sich in meinen Armen, und es gelingt mir nur mit Mühe, es durch völlige Bewegungslosigkeit meinerseits zu beruhigen.
Die Henne und ich zittern nun synchron. Bloß jetzt kein Gegackere, denke ich. Die Frau scheint nichts gehört zu haben, sie ist völlig auf Froschmaul konzentriert. Ich beobachte sie mit weit aufgerissenen Augen. Zur Feier des Tages trägt sie ein markantes Ensemble in Bronze, selbstverständlich mit passender Clutch und gewagten Sandaletten. Ich presse die Lippen aufeinander. Es ist niemand Geringerer als Beatrice Kleidermann.
»Kommst du endlich?«
Froschmaul steckt sein Handy lässig in die Hosentasche und bewegt sich keinen Millimeter. Lediglich ein leichtes Wippen von den Fersen auf die Ballen und wieder zurück lässt ahnen, dass er nicht an Ort und Stelle Wurzeln geschlagen hat. Fast höre ich das finale Surren einer unvorsichtigen Mücke, die sich zu nahe an ihn heranwagt. Kleidermann scheint diese Ruhe noch mehr aus der Fassung zu bringen. Sie fixiert ihr Gegenüber wie Kaa, die Schlange aus dem Dschungelbuch und stampft wütend mit dem Fuß auf, als würde sie für eine Hauptrolle in der Daily Soap
Reich und
Weitere Kostenlose Bücher