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Nathanael

Titel: Nathanael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Landers
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gewesen wäre und so lange fürs Aufstehen gebraucht hätte.
    Gestern hatte sie bis spät in die Nacht vor dem Laptop gesessen und die Aktienkurse studiert. Vor Tagen war die Börse förmlich explodiert, die Kurse nach oben geschnellt.
    Auslöser war die Wahl der Wirtschaftszeitungen gewesen, die ihren Freund Steven zum erfolgreichsten Unternehmer des Jahres gekürt hatten. Seine Firma Greenberg Pharma avancierte zum Spitzenunternehmen der USA.
    Im vergangenen halben Jahr hatte Stevens Pharmakonzern bahnbrechende Erfolge mit einem neuen Schmerzmittel erzielt. Seitdem stand täglich etwas über ihn in der Presse. Das war vor allem ihren guten Kontakten zu Journalisten zu verdanken, die sie durch ihren Job kennenlernte. Steven und sie waren ein perfektes Team. Sie verkaufte seine Aktien an der Börse, und er empfahl sie als Finanzberaterin seinen Kunden. Jetzt zahlte sich ihr jahrelanges, gemeinsames Engagement aus und die ganze Arbeit trug Früchte. Sie war unglaublich stolz auf ihn. Und auch auf sich selbst.
    Nach Börsenschluss wollte sie ihm zur Wahl gratulieren, allein, ganz intim, bevor das Gala-Dinner im Trump Tower begann. Morgen würden sie ihren Erfolg nach der Pressekonferenz feiern, die sie organisiert hatte. Sie freute sich darauf, mit ihm einen Abend allein zu verbringen, denn seitdem Steven ein so erfolgreicher Geschäftsmann war, fanden sie nur selten Zeit füreinander. Das war der kleine Wermutstropfen in ihrer Beziehung. So erging es auch anderen Paaren ihrer Branche. Freizeit war rar. Dafür arbeiteten sie an einem gemeinsamen Ziel: Einmal ganz oben auf der Erfolgsleiter zu stehen und allen zu beweisen, was in ihnen steckte.
    Doch vor ihr lag noch ein langer Tag. Wenn sie ihn durchhalten wollte, brauchte sie einen starken Kaffee.
    Sie steuerte Ted’s Coffeeshop an, der sich direkt neben der Treppe zur U-Bahn befand und klopfte gegen die Scheibe des Ausgabefensters. Wie jeden Morgen öffnete ihr lächelnd die dunkelhäutige Eve mit den Rastalocken.
    «Hi, Eve. Wie immer – stark, schwarz, mit wenig Zucker.» Tessa schob Eve einen Fünf-Dollar-Schein über den Tresen.
    «Heute mit Kragen?» Eve ließ den Geldschein in der Kasse verschwinden und sah sie fragend an.
    «Mit. Ich muss gleich zur Bahn. Außerdem kann ich mich dann besser dran aufwärmen. Für Anfang April ist es ganz schön kalt heute Morgen.»
    Als Eve sich umdrehte, um den Kaffee einzuschenken, überflog Tessa die Schlagzeilen auf der Titelseite der Manhattan Post , die in einem Ständer neben dem Fenster festgeklemmt war.
    Neuer Selbstmord! , prangte dort in fetten Lettern.
    Die Aufnahme von der Leiche unter der Plane jagte ihr einen Schauer den Rücken hinunter. Ihr wurde übel. Bilder strömten auf sie ein, die sie mit aller Macht zu verdrängen suchte.
    Sie schloss die Augen, als die Buchstaben vor ihren Augen verschwammen. Das war doch krank! Amateure hatten die Selbstmörder beim Sprung gefilmt. Ein gefundenes Fressen für die Nachrichtensender. Man musste nur einen Fernseher einschalten und bekam einen Selbstmord kredenzt. Tessa stöhnte innerlich auf. Gestern war eine Frau aus der Nachbarschaft vom Dach gesprungen. Die Nachricht von ihrem Tod hatte sie ernsthaft verstört.
    «Eine Tragödie! Da hat sich wieder eine umgebracht. Ist vom Flatiron gesprungen. Jetzt sind es schon mehr als fünfzehn Tote diesen Monat.» Eve überreichte ihr mit ernster Miene den Pappbecher mit dem dampfenden Kaffee.
    Tessa nickte. Eves Worte stimmten sie sehr nachdenklich.
    Wie verzweifelt musste jemand sein, wenn er sich von einem Hochhaus stürzte? Welche Gründe trieben ihn dazu?
    Sie erinnerte sich wieder an einen Alptraum, den sie vor einiger Zeit gehabt hatte, als die Selbstmordwelle begann.
    Sie stand vor einem Hochhaus und blickte zu einer Frau hinauf, die oben auf der Dachkante stand. Von Entsetzen gepackt war sie aufs Dach gerannt, um sie zurückzuhalten. Aber in dem Moment, in dem sie ihre Hand nach der Frau ausstreckte, sprang sie in die Tiefe. Tessa hatte geschrien und war aufgewacht.
    Kein Wunder, dass sie die tragischen Ereignisse bis in den Schlaf verfolgten, wenn an jeder Ecke ein Selbstmord geschah, über den in allen Medien berichtet wurde.
    «Ja, schrecklich.» Seufzend griff Tessa den Pappbecher und das Wechselgeld, nickte Eve zu und lief die Treppe zur U-Bahn hinab.
    Noch immer drehten sich ihre Gedanken um die Selbstmorde. Das Flatiron Building lag nur zwei Blocks von Stevens Penthouse entfernt. Nicht auszudenken, wenn sie

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