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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sontheimer
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eingestellt.

    Während Buback nicht lockerließ, nahmen Beamte des Bundeskriminalamtes DNA-Analysen an alten Asservaten vor. Sie prüften zum Beispiel die Kuverts, in denen RAF-Mitglieder im April 1977 die Bekennerschreiben zum Attentat auf Buback von Duisburg und Düsseldorf aus verschickt hatten. Drei der Umschläge, so stellte sich nun heraus, hatte Verena Becker angeleckt. Daraufhin besorgte sich Bundesanwalt Walter Hemberger einen Beschluss für die Überwachung von Beckers Telefonen. Es zeigte sich bald, wie weit die Heilpraktikerin sich von der RAF und ihren Kommunikationsformen entfernt hat. Entgegen allen Regeln der Konspiration erzählte sie Brigitte Mohnhaupt, mit der sie öfter telefonierte, dass sie ihre Gedanken zum Attentat auf Buback zu Papier bringen wolle.

    Bundesanwalt Hemberger gab Becker noch ein wenig Zeit zum Schreiben, dann beantragte er im August 2009 einen Durchsuchungsbeschluss und stattete ihr einen unangemeldeten Besuch in ihrem Gartenhaus in Berlin-Schlachtensee ab. Dabei fanden die Ermittler auf dem Nachttisch einen interessanten Zettel. Unter dem Datum des 7. Februar 2009, bald 32 Jahre nach den Karlsruher Morden, hatte Becker notiert: »Nein, ich weiß nicht, wie ich für Herrn Buback beten soll. Ich habe kein wirkliches Gefühl für Schuld und Reue. Natürlich würde ich es heute nicht mehr machen - aber ist das nicht armselig so zu denken und zu fühlen?«

    Die Spuren auf den Briefkuverts und das Eingeständnis, sie würde »es heute nicht mehr machen« - was immer Becker mit »es« meinte -, genügten der Bundesanwaltschaft, um einen Haftbefehl gegen sie zu beantragen. Sie sei dringend der Mittäterschaft an den Karlsruher Morden verdächtig; zudem bestehe Fluchtgefahr. Nachdem der Untersuchungsrichter des Bundesgerichtshofes einen Haftbefehl erlassen hatte, saß die einstige Informantin des Verfassungsschutzes 117 Tage in Untersuchungshaft. Aussagen machte sie diesmal keine. Die Bundesanwaltschaft will sie auf jeden Fall anklagen.

    Andere ehemalige RAF-Mitglieder wunderten sich über manche Ergebnisse der Ermittlungen gegen Becker. Warum telefonierte Brigitte Mohnhaupt mehrfach mit ihr? Versuchte die einstige Führungsfigur der zweiten Generation und später der RAF-Gefangenen noch immer, die Truppe zusammenzuhalten?

    Immerhin gibt es noch eine Sache, die Mohnhaupt und die meisten anderen ehemaligen RAF-Mitglieder verbindet: die alte Propagandalüge über die Todesnacht von Stammheim. Sie halten daran fest, dass unbekannte Agenten eines imperialistischen Geheimdienstes Baader, Ensslin und Raspe ermordet hätten. Sie tun es vor allem, um Irmgard Möller nicht in den Rücken zu fallen. Diese hat wiederholt erklärt, sie sei im siebten Stock in Stammheim im Schlaf von Unbekannten angegriffen und mit einem Messer verletzt worden. »Ich gehe davon aus«, sagte sie, »dass das auch innerhalb der Nato irgendwie abgesprochen war.« 10

    Dagegen sagte Susanne Albrecht 1990 nach ihrer Verhaftung in der DDR aus, sie habe Gesprächen mit Brigitte Mohnhaupt entnommen, »dass die Stammheimer Gefangenen vorhatten, Selbstmord zu begehen, wenn die Freipressungsaktion nicht klappt. Es sollte dann so aussehen, als habe der Staat die Gefangenen in Stammheim ermordet.« 11 Nachdem die damals inhaftierte Mohnhaupt erfuhr, dass der SPIEGEL über Albrechts Aussagen berichtet hatte, brach sie mit einer Besucherin zusammen in Tränen aus.

    Seit ihrer Entlassung Ende März 2007 hat sich Brigitte Mohnhaupt nicht öffentlich geäußert und auch gegenüber der Bundesanwaltschaft geschwiegen. Da sie - wie auch Folkerts und Klar - die Aussage im Rahmen der Ermittlungen gegen Stefan Wisniewski verweigerte, beantragte die Bundesanwaltschaft Beugehaft von einem halben Jahr. Sie schwiegen dennoch; und der Bundesgerichtshof lehnte die Beugehaft schließlich ab.

    Nicht nur diese drei haben einen handfesten Grund zu schweigen. Der Bundestag hat die Verjährung von Mord in der Bundesrepublik 1979 abgeschafft, damit ehemalige Nazis weiterhin wegen dieses Straftatbestandes angeklagt werden können. Ehemalige RAF-Mitglieder könnten deshalb für jede Mordtat der Gruppe, wegen der sie noch nicht vor Gericht standen, angeklagt und erneut zu lebenslang verurteilt werden. Somit greift ein grotesker Mechanismus: Die Justiz verhindert durch ihre Bemühungen um Aufklärung die Aufklärung.

    Doch die Suche nach der Wahrheit über die RAF sabotieren nicht nur ihre einstigen Akteure, sondern auch einflussreiche Politiker.

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