"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Becker zusammengefasst hatten. Zu dem Attentat auf Buback hatte Becker erklärt, dass Günter Sonnenberg das Motorrad gesteuert, Stefan Wisniewski geschossen und Christian Klar den Fluchtwagen gefahren habe.
Doch nun geschah etwas Erstaunliches: Statt alles daranzusetzen, den Mord an seinem Vorgänger aufzuklären und den Wahrheitsgehalt von Beckers Aussagen zu überprüfen, ordnete Rebmann an oder ließ es zumindest zu, dass die brisanten Dokumente bei der Bundesanwaltschaft verschwanden. Neben Rebmann hatten noch zwei weitere ranghohe Bundesanwälte den Auswertungsbericht und den 227 Seiten starken »Operativvermerk« mit den Aussagen Beckers erhalten, nicht aber die Mitarbeiter, die die Anklage gegen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar vorbereiteten. Diese klagten jedenfalls das Duo unter anderem wegen des Mordes an Buback und seinen Begleitern an.
Im April 1985 verurteilte das Oberlandesgericht Stuttgart Mohnhaupt, weil sie »an den Planungen und Vorbereitungen dieses Anschlags« einen »wesentlichen Anteil« hatte. In Wahrheit war die blutige Mordaktion bereits geplant, als Mohnhaupt noch im Gefängnis saß. Und Mohnhaupt war zum Zeitpunkt des Karlsruher Attentats von einem Treffen mit verbündeten Palästinensern in Bagdad gerade wieder in Amsterdam eingetroffen. Christian Klar verurteilte das Gericht, weil »er entweder Lenker oder Soziusfahrer des Motorrads war oder mit dem Alfa Romeo wartete«. 3
Michael Buback begann, alte Akten zu studieren, die ihm die Bundesanwaltschaft widerwillig und teilweise geschwärzt überließ. Je mehr er sich in den Fall vertiefte, umso mehr begann er sich zu wundern. Der Göttinger Chemieprofessor verwandelte sich in einen Ermittler. Die Suche nach der Wahrheit über den Tod seines Vaters wurde ihm zur Therapie seines Traumas. Auch wenn er gelegentlich in Spekulationen abglitt, nahm er eine Position ein, die moralisch schwer angreifbar war. Er wollte schlicht wissen, wer seinen Vater erschossen hat. Wer konnte ihm dies verdenken.
Buback fragte sich, warum Polizisten kurz nach der Tat noch von einer Frau auf dem Soziussitz gesprochen hatten, aber am nächsten Abend Fahndungsfotos der angeblichen Täter Folkerts, Klar und Sonnenberg in den Fernsehnachrichten gezeigt worden waren. Buback fand Zeugen, die eine zierliche Person hinten auf dem Motorrad gesehen haben wollten. Er fragte sich: Warum waren diese Aussagen, die auf die nur 164 cm große Verena Becker hindeuteten, von den Ermittlern nicht ernst genommen worden?
Bestärkt sah sich Buback, als der SPIEGEL im April 2007 Beckers Kooperation mit dem Verfassungsschutz und das Wissen des Generalbundesanwalts davon enthüllte. Boock bestätigte nun auch öffentlich, was er Buback erzählt hatte: Wisniewski sei der Schütze in Karlsruhe gewesen. Die Bundesanwaltschaft eröffnete daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen des Mordes an Buback und seinen Begleitern gegen Wisniewski. Der Sohn eines polnischen Zwangsarbeiters hatte 1981 für die Entführung und Ermordung Schleyers eine lebenslange Freiheitsstrafe bekommen und 21 Jahre abgesessen.
Silke Maier-Witt bekräftigte ihre alte Aussage, nach der Knut Folkerts und Rolf Heißler sie am Tag des Buback-Attentats an der deutsch-niederländischen Grenze abgeholt und nach Amsterdam gebracht hätten. Folkerts bestätigte dies und erklärte, er sei am Morgen der Karlsruher Tat in Köln gewesen und habe dort eine Bank für eine »Geldbeschaffungsaktion« ausgespäht.
Knut Folkerts ist nicht der einzige ehemalige RAF-Kader, der mittlerweile sagt, er sei für Taten verurteilt wurde, die er nicht begangen habe. Auch Manfred Grashof, einer der RAF-Gründer und heute Bühnentechniker und Schauspieler beim Berliner Grips-Theater, spricht von einem Fehlurteil, das gegen ihn verhängt worden sei. Anfang Juni 1977 hatte ihn das Landgericht Kaiserslautern nach einem 21 Monate langen Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt; unter anderem wegen Beihilfe zu einem Bankraub in Kaiserlautern, bei dem ein Polizist erschossen worden war. Grashof, so stellte das Gericht gestützt auf eine Zeugin fest, habe in einer Kaiserslauterner Buchhandlung einen Stadtplan zur Vorbereitung des Bankraubs gekauft.
»Das Dumme ist nur«, sagt er, »dass ich bis zu meinem Prozess niemals in Kaiserslautern war.« Der Stadtplan lag dem Gericht auch nicht vor. An dem Tag, an dem die Bank in Kaiserlautern ausgeraubt wurde, am 22. Dezember 1971, erklärt Grashof glaubhaft, sei er »in Hamburg für die RAF
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