Naturgeschichte(n)
und gegen Trägheit wirkt.
Reh und Hirsch nutzten daher ursprünglich die offenen, lichten Stellen im Wald und auch die Fluren, weil sie dort Pflanzen vorfinden, die den Verbiss gut vertragen. Den mehrjährigen Gräsern macht er überhaupt nichts aus, denn sie wachsen aus Trieben weiter, die geschützt unter der Erdoberfläche liegen. Ihr Wurzelwerk enthält ein Mehrfaches an lebendiger pflanzlicher Substanz im Vergleich zu dem, was grün nach oben hochwächst. Einjährige Gräser sind schlechter dran, weil ihr Wurzelwerk gering entwickelt ist und sie nur wenige Ersatztriebe machen können, wenn der Haupttrieb abgebissen wurde. Am schlechtesten vertragen die jungen Bäume den Verbiss. Ihre Wachstumspunkte sitzen oben in Form von (schlafenden) Knospen an den Spitzen der Triebe und knapp darunter. Fressen Reh und Hirsch diese Knospen und Triebe ab, ist das junge Bäumchen erledigt. Kommt es durch, wächst es nicht schön gerade, wie es werden soll, um gutes Holz zu liefern, wenn das bei den Bäumen » hiebreif« genannte Alter erreicht ist.
Das Reh (rechts) ist nicht das Junge der Hirschkuh.
Beide, Reh und Hirsch, werden zu sehr in den Wald hineingedrängt.
Also sollten Reh und Hirsch hinaus auf die Flur. Dort wollen aber die Landwirte das Schalenwild nicht haben, weil es Schaden macht. Sie rächen damit gleichsam die bäuerlichen Vorfahren des 18 . und 19 . Jahrhunderts, als das Vieh aus den Wäldern verbannt worden war. Man nannte dies die Trennung von Wald und Weide, die früher viele Jahrhunderte lang zusammengehört hatten. Die (damals) moderne Forstwirtschaft erzwang die Trennung, mit der Folge, dass die Wälder besser wuchsen und Forste gedeihen konnten. Die Vertreibung des Wildes aus dem Wald sollte der zweite Streich werden, eben weil Reh und Hirsch wie einst Rinder und Ziegen den Wald verbeißen und zudem in den vergangenen Jahrzehnten so häufig wurden wie nie zuvor.
Verursacher der starken Zunahme des Wildes ist die Landwirtschaft. Die jagdliche Hege trug zwar auch ihren Teil dazu bei, aber maßgeblich ist, dass durch die starke Düngung der Pflanzen die Nahrung des Wilds gehaltvoller geworden ist. War früher die Flur mager und der Wald noch magerer, so sind beide inzwischen hochproduktiv. Zusätzlich zur direkten landwirtschaftlichen Düngung versorgen wir durch Autoverkehr und moderne Heizungen die Wälder und darüber hinaus das ganze Land mit 30 bis 60 Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr. Diese Menge hofften die Landwirte Anfang des 20 . Jahrhunderts als Dünger auf ihre Felder bringen zu können. Damit wäre der Mangel behoben gewesen, der sich über die Jahrhunderte der Übernutzung breitgemacht hatte. Behoben ist er längst – und als Überdüngung zum Problem geworden.
Die Ernteerträge stiegen – und die Wildbestände auch. Schon ein kurzer nächtlicher Feldspaziergang reicht dem Schalenwild, so viel und so qualitativ hochwertige Nahrung findet es dort. Wo Rehe intensiv bejagt werden, steigt der Anteil der Zwillingsgeburten kräftig. Die Mütter sind in bester Kondition. Sie tragen nicht nur mühelos die Zwillinge aus, sondern bieten ihnen auch die nötige Menge Milch.
Mit immer stärkerer Bejagung ist das Wild aber auch immer scheuer geworden. Es verlässt möglichst nur noch in der schützenden Dunkelheit die sicheren Einstände. Damit wird es nahezu unsichtbar. Man kann kaum noch eine Vorstellung davon gewinnen, wie viel Wild in unserem Land tatsächlich vorhanden ist, weil man es nicht zu Gesicht bekommt. Nur in der jagdlichen Ruhezeit, im Frühling, lassen sich die Rehe, oft gruppenweise oder in kleinen Rudeln beisammen, im Freien beobachten. Weit über eine Million Rehe schießen die Jäger in Deutschland alljährlich. Dem Bestand schadet das nicht. Im Gegenteil! Die jagdliche Nutzung hält ihn produktiv auf hohem Niveau.
Liebe Rehe, wo sind die Hirsche? Für die Bestände des Rotwildes gilt dasselbe. Nur sind diese in einem Großteil des Landes auf bestimmte » Rotwildzonen« beschränkt, gleichsam eingesperrt. Dabei handelt es sich fast ausnahmslos um sehr weitläufige Waldgebiete, sodass die an heimischen Wildtieren interessierte Öffentlichkeit noch weniger von den Hirschen mitbekommt als von Rehen. Scheu verstecken sich die Hirsche in den Dickungen, wo sie dann von Wanderern, Pilzesuchern, Joggern und anderen empfindlich gestört werden.
Die Folgen bekommt zunächst die Forstwirtschaft in Form von vermehrten Schäl- und Verbissschäden ab, dann die Jäger, weil es immer
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