Nazigold
soll sich von jeglichem Klatsch fernhalten.»
Guide to Hotel Housekeeping – Mary E. Palmer, 1908
Anna Staufer, Gouvernante des Grand Hotel Splendid, hatte
schon so einiges gesehen, aber der Zustand der Suite, in der Frau Baronin von
Helmdorf logierte, liess sie doch innehalten. Kein Wunder waren Elsa und Marie
vor ein paar Minuten atemlos vor Annas Kammertür aufgetaucht mit der Bitte, sie
möge sofort nach unten kommen. Den Stubenmädchen war auf dem Weg ins Parterre,
wo sie die Salons für den Tag herrichten sollten, die offen stehende Tür zur
Kleinen Suite aufgefallen. Beim Anblick, der sich ihnen dann dort bot, hatten
sie nicht lange gezögert: Dies war eindeutig eine Angelegenheit für die
Gouvernante.
Jetzt drängten sich die beiden hinter Anna in der Eingangstür zur
Zimmerflucht. Nachdem die Verantwortung bei einer höheren Autorität lag, galt
es, für die morgendliche Tischrunde im Personal-Speisesaal möglichst viele
Details der skandalösen Situation zu erhaschen.
Es sah aus, als hätten sich hier ein paar Dragoner amüsiert. Ein
malerisches Tableau der Zerstörung entfaltete sich vor ihnen: umgestossene
Stühle und Tische, heruntergezerrte Tüllvorhänge, zerfetzte Polstermöbel und
Auslegeware, aufgeschlitzte Tapeten und zertrümmerte Paneele. Was einmal ein
üppiges Dinner gewesen sein musste, lag dazwischen verteilt. Von der Bewohnerin
der Suite war nichts zu sehen.
Vorsichtig bahnte Anna sich einen Weg durch das Trümmerfeld, doch nicht
vorsichtig genug. In der Mitte des Raumes bückte sie sich nach einer am Boden
liegenden Serviette, um ihre Schuhe von etwas, das verdächtig nach Kaviar
aussah, zu reinigen. Als sie sich wieder aufrichten wollte, bemerkte sie die
Hand, die hinter einem umgekippten Diwan hervorlugte. Anna trat näher; die Frau
Baronin lag splitternackt und dekorativ zwischen Diwan und Wand auf dem Parkett
ausgebreitet. Die Pose gemahnte an eine Odaliske auf gewissen Bildchen, die
Anna während ihrer Zeit als Zimmermädchen manchmal in den Räumen männlicher
Gäste zu Gesicht bekommen hatte. Der pittoreske Effekt wurde allerdings durch
eine Unmenge klebriger Orangensauce und kandierter Früchte beeinträchtigt, mit
denen jemand den leicht molligen Körper dekoriert hatte.
Die strategisch geschickte Platzierung zweier Kirschen war nicht weiter
überraschend; Männer waren Annas Meinung nach nicht sehr phantasievoll.
Immerhin, es war ein praktisches Arrangement: Die Früchte hoben und senkten
sich regelmässig, das aristokratische Stück Patisserie war noch am Leben. Anna
beugte sich über die Frau Baronin und untersuchte sie nach eventuellen
Verletzungen; abgesehen von ihrem bewusstlosen Zustand schien es ihr aber gut
zu gehen. Ein kurzer Blick in Bad und Schlafzimmer zeigte, dass kein weiterer
Gast sich in ähnlichen Kalamitäten befand.
Anna breitete gnädig eine Tischdecke über die Blösse der Dame, schickte
Elsa auf die Suche nach der Zofe der gnädigen Frau und wies Marie an, so weit
wie irgendwie möglich, Ordnung zu schaffen.
Kurz darauf erschien die Zofe mit verschlafenem Blick und zerzaustem
Haar. Baronin von Helmdorf gehörte wohl zu jenen Herrschaften, die man besser
nicht warten liess. Allerdings, so Annas ungnädige Vermutung, dürfte es eher
selten sein, dass die gnädige Frau dermassen früh nach ihrer Dienerschaft
verlangte.
Die Zofe war ein blutjunges Ding und kaum auf den Anblick vorbereitet,
der sich ihr bot. Innerlich bedachte Anna die Baronin mit ein paar
unfreundlichen Ausdrücken für diesen bedauernswerten Mangel an gesundem
Menschenverstand. Wenn man schon beabsichtigte, sich zügellosen Gelagen
hinzugeben, hatte man gefälligst mit einer erfahrenen Zofe zu reisen, die
selbst der Anblick eines Bengal-Tigers im Gemach der Herrschaft nicht aus der
Fassung bringen konnte. Anna hatte von solch resoluten Vertreterinnen des
Zofenstandes viel gelernt.
Sie liess dem Mädchen keine Zeit zu sinnlosem Händeringen, die Frau
Baronin musste notdürftig gereinigt und dann ins Bett geschafft werden. Auf
Annas Geheiss besorgte Elsa neues Bettzeug, Laken und Bezüge. Die zerschlissene
Matratze wurde umgedreht, mehr konnten sie im Moment nicht tun. Zu viert
verfrachteten sie die inzwischen von Früchten und Sauce gereinigte und züchtig
bedeckte Freifrau in das Bett.
Nach einer kurzen Predigt über Schwatzhaftigkeit und den guten Ruf des
Hauses schickte Anna Elsa und Marie nach unten, damit sie sich endlich den
Salons widmen konnten. Die Zofe sollte weiter die
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