Nazigold
er, »da steckt de Kugl im Bodn«, und
will sie herauskratzen. Es gelingt ihm nicht, er gibt es auf und will seine mit
Blut verklebten Finger an seiner Jacke abwischen. Auch das gelingt ihm nicht.
Nun sind Jacke und Hand rot verschmiert.
Der Zeitungsbote sagt: »Se müssn de Polizei anrufn.«
Fanny stürzt zum Schreibtisch und ergreift den Telefonhörer. Kein
Tuten beim Abnehmen und Wählen der Nummer. Sie stellt fest: Das Telefonkabel
ist durchgeschnitten. Benommen stolpert sie nach unten in das Lokal, will von
dort anrufen. Aber bei der Polizei meldet sich niemand.
Fanny hetzt zur Polizei am Obermarkt. Zehn Minuten muss sie rennen.
Als sie das Revier erreicht, ist es sechs Uhr dreißig. Der alte Gendarm
Ferdinand Buchner schlüpft gerade in seinen Lodenjanker und will nach Hause. Er
hat die Nachtschicht hinter sich, ist müde und will schlafen. Eben sind seine
jungen Anfängerkollegen Bergmoser und Senger zur Tagesschicht eingetroffen.
Eigentlich hätte Buchner schon längst pensioniert werden müssen,
doch nun, nach Kriegsende, hat man für den Aufbau der neuen Polizei keine
erfahrenen Leute. Die Polizeibeamten der Nazizeit wurden von den Amerikanern
ins Internierungslager gesteckt, und junge Bewerber müssen erst ausgebildet
werden. So hatte man ihn bekniet, noch so lange Dienst zu tun, bis die beiden
ihm zugewiesenen Neulinge eingearbeitet sind. Derart gezwungen, bringt Buchner
nun seine Tag- und Nachtschichten hinter sich und freut sich, wenn Feierabend
ist. Besonders aber freut er sich auf den Tag, an dem er endgültig in Pension
gehen kann.
Über das, was er als Gendarm in der Nazizeit gemacht hat, schweigt
er beharrlich. Es fragt ihn auch keiner danach. Ebenso hartnäckig verschweigt
er, warum man ihn schon nach wenigen Tagen aus dem amerikanischen
Internierungslager, diesem Mittenwalder Gehege, wieder freigelassen hat. Die
Mittenwalder tuscheln viel darüber und glauben auch, den Grund für seine
schnelle Freilassung zu wissen.
Zuerst misslaunig, doch dann alarmiert hört sich Buchner an, was die
Jais ihm keuchend berichtet: Der Nafziger erschossen! Der Anton! Der Besitzer
und Betreiber des »Crazy Horse«, des Ami-Amüsierclubs, in dem er mit den
Besatzern, mit dem CIC und den Schwarzhändlern
heimliche Geschäfte machte. Und jetzt erschossen! Von wem? Das wird ein
Getuschel geben.
Dass es schon wieder einen Toten gibt, wundert ihn nicht. Aber dass
es nun den Nafziger erwischt hat, das ist was Besonderes. Seit Kriegsende
werden im Ort und in der Umgebung ständig Leute umgebracht, Ausländer und auch
Einheimische. Seit der Niederlage, dem Zusammenbruch, der Kapitulation, der
Besatzung, der Befreiung gibt es überall Mord und Totschlag. Das hat es früher
nicht gegeben, denkt Buchner. Da herrschte Ordnung. Davon ist er überzeugt. Das
lässt er sich nicht nehmen. Aber dass es jetzt den Anton weggeputzt hat, das
macht Buchner nervös. Das wird Ärger geben.
Noch dazu war der Anton sein Freund.
Es hilft alles nichts: Der Feierabend muss warten. Als erfahrener
Polizist kann er diesen neuen Fall nicht den beiden Anwärtern überlassen. Und
so kratzt er sich kurz an seiner dunklen Warze am rechten Nasenflügel, schnappt
sich seine alte Leica, seine Gummihandschuhe und seine Taschenlampe, bei der er
schon lange nicht mehr die Batterie ausgewechselt hat, und eilt mit Fanny zum
»Crazy Horse«.
Unterdessen greifen sich der Zeitungsbote und der Müllfahrer den
Karabiner, wiegen ihn in den Händen, schätzen respektvoll sein Gewicht und
legen den Schießprügel auf den Boden, mitten in die Blutlache. Sie nehmen die
Enzianflasche vom Schreibtisch, bedauern, dass sie leer ist, und stellen die
nun blutbefleckte Flasche zurück. Sie öffnen die Schubladen, holen Papiere
heraus, wenden sie hin und her, stecken einige davon ein, stopfen die
restlichen zurück. Auch dicke Bündel von Dollarscheinen finden sie in den
Schubladen und lassen sie schnell in ihren Hosen- und Jackentaschen
verschwinden.
»Du hoitst dei Mei. Keinen Muckser, hörst?« Kurzes Nicken,
Schweigegelöbnis.
Sie öffnen die Balkontür, treten hinaus und schauen hinab auf das
Garagendach.
»Fluchtweg«, sagen sie. »Guata Fluchtweg.« Und immer wieder latschen
sie in die große rote Lache in der Mitte des Raumes.
Dann gehen sie hinunter auf die Straße, warten auf die Polizei und
berichten allen Vorübergehenden: »Obm liagt dea Nafziger un is tot.«
Die Neugierigen drängen die schmale Treppe hinauf, dringen in das
Büro ein. Jeder will die
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