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Nazigold

Nazigold

Titel: Nazigold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kohl
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Zimmer der Kleinen Suite
aufräumen und sich um ihre Herrschaft kümmern.
    Anna rief Doktor Reber an und bat ihn um einen frühen Hausbesuch. An der
Réception meldete sie, dass es einen «Zwischenfall» gegeben habe.
    Bis zum Morgenessen hatte sie noch etwas Zeit. Sie kehrte ins
Dachgeschoss zurück, wo die Angestellten des Grand Hotels und die Dienstboten
der vornehmeren Gäste, die ohne Dienerschaft nicht reisen konnten, ihre Bleibe
hatten. Im rechten Seitenflügel war das weibliche Personal untergebracht –
hier teilten sich jeweils mehrere Mädchen eines der kleinen, engen Zimmer unter
der Dachschräge.
    Als Gouvernante hatte Anna allerdings eine Kammer für sich. Sie öffnete
das Fenster, räumte das Nachthemd weg, machte ihr Bett und schaffte auf dem
Waschtisch Ordnung. Auf dem kleinen Beistelltisch, den sie unter dem Fenster
als Schreibtisch eingerichtet hatte, lagen ein paar Holzspäne vom
Bleistift-Anspitzen. Sie wischte sie mit der Hand in den Papierkorb und rückte
den Zettelkasten mit den Notizen zu den regelmässig im Splendid logierenden
Gästen gerade. Eine Gouvernante konnte sich keine Unordnung leisten.
    Anschliessend blickte sie prüfend in den Spiegel. Die modischen Damen
trugen luftige, weich hochgesteckte Frisuren. Annas Haar war streng nach hinten
gekämmt und im Nacken zu einem Knoten geschlungen, keine vorwitzige Strähne
wagte es, sich unbotmässig herauszustehlen. Bluse und Rock – die
Gouvernante des Splendid trug keine Schürze – tadellos. Die Schlüssel und
das viel gefürchtete Notizbuch samt Bleistift hingen rechts an ihrem Gürtel,
links hatte sie einen kleinen Lederbeutel befestigt, in dem ein Taschenmesser,
Näh- und Verbandszeug, Streichhölzer und andere nützliche Dinge verstaut waren.
    Als Gouvernante fiel es ihr zu, mit Notfällen und kompromittierenden
Situationen, die weibliche Gäste involvierten, diskret fertigzuwerden. Sie war
das Pendant zum Concierge, dem Meister der Schlüssel und Zimmer, dessen Motto,
sofern er etwas von seinem Beruf verstand, lautete: Tout
voir, tout entendre et ne rien dire.
    Für ihre Dienste und Mühen erhielt die Gouvernante Geschenke und
Aufmerksamkeiten der Damen, und erledigte sie besonders delikate Aufgaben
erfolgreich, war auch mit Zuwendungen der Herren zu rechnen.
    Anna bekleidete diese Position erst seit zwei Jahren, doch sie hatte seit
Ende der Schulzeit in Hotels gedient und war mit den Spielregeln ihres Gewerbes
bestens vertraut. Und sie verfügte in Herrn Ganz, dem Concierge des Splendid,
über einen verlässlichen Verbündeten. Was der Concierge nicht wusste, das
wusste die Gouvernante und umgekehrt.
    Das eiserne Gesetz der vornehmen Gesellschaft lautete schlicht «kein
Skandal». Es galt, die Reputation der Gäste und des Hauses zu wahren, alles
andere war nebensächlich.
    Anna hatte Gouvernanten gekannt – Musterexemplare an Tugend und
Aufrichtigkeit –, die ohne zu zögern das Nötige getan hatten, um den
Prinzipien des Hauses allzeit gerecht zu werden, selbst wenn es bedeutete, ein
junges Mädchen ins Elend zu jagen. Sie fürchtete den Tag, an dem man so etwas
von ihr verlangen würde. Seit sie Gouvernante war, ließ sie keine Dummheiten
durchgehen und überwachte gewisse männliche Gäste mit Argusaugen. Sie hoffte
inbrünstig und – wie sie insgeheim wusste – vergeblich, dass das
ausreichen würde.
    Was die feinen Herrschaften hingegen untereinander so alles anstellten,
war nicht Annas Angelegenheit – zumindest solange nicht, bis diese als
Teil der Dessert-Karte zu ihren Füssen lagen. Sie hatte inzwischen genug
Erfahrung, derlei Szenarien als Herausforderung zu betrachten. Allerdings wurde
sie von solchen Eskapaden selten überrascht: Für gewöhnlich wusste sie, welche
Gäste im Hause dazu neigten, in Schwierigkeiten zu geraten. Die Frau Baronin
hatte sie bisher nicht dazu gezählt.
    Früher waren die von Helmdorfs immer gemeinsam zur Sommerfrische in den
Bergen im Splendid abgestiegen, doch seit einiger Zeit erschien die Frau
Baronin alleine. Der Herr Baron beehrte das Splendid zwar weiterhin, aber nun
zur Wintersaison – wobei man von ihm gewiss nicht sagen konnte, dass er
alleine reiste. In einem guten Haus wurde so etwas diskret registriert und
nicht weiter beachtet.
    Die herrische, nörglerische Frau Baronin war kein sehr angenehmer Gast,
und über die Höhe ihrer Trinkgelder wurde mehr gelästert als über den Zustand
ihrer Ehe. Ihre liebste Beschäftigung schien darin zu bestehen, das Geld

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