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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Oberschenkel trug sie einen Verband aus schwarz eingefärbtem Leintuch.
    Endlich im Freien fand Till Gelegenheit, sie aufmerksamer zu mustern. Gabrielas Gesicht wirkte spitzer, und wenn das überhaupt möglich war, schien es noch ein wenig blasser als sonst zu sein. »Was ist passiert?«
    Sie grinste breit. »Du kannst mich jetzt Drachentöterin nennen! Ich wäre allerdings nicht hier, wenn mich Knuper nicht vor dem Ertrinken gerettet hätte. Wie dem auch sei, wenn ich das richtig im Blick habe, bin ich als erste Frau in die Männerdomäne der Drachentöter eingedrungen.«
    Die Hexe an ihrer Seite nickte zustimmend. »Und gestern haben wir den urallerersten Verein zur Selbstverwicklung von Frauen in Feenwelten gegründet. Alle Gründungsmitglieder sind Hexen!«
    »Selbstverwirklichung«, verbesserte Gabriela.
    Die Hexe nickte ernst. »Natürlich. Wir werden dafür sorgen, dass Riesen, alte Drachen, verholzte Waldschrate und andere Machos endlich lernen, was Frauenpauer ist!«
    »Frauenpower«, warf die Tänzerin ein.
    »Sag ich doch«, entgegnete die Alte leicht gereizt. »Frauenpauer! Übrigens, falls du etwas länger bleibst, morgen trifft sich die Hexenselbsthilfegruppe Bergisches Land bei mir zu einem Vortragsabend. Die Morrigan wird unsere Referentin sein und ihr Thema ist: Die Rolle der Frau bei der Ausübung angewandter Magie und die Bedeutung der Farbe Schwarz für Damenmoden.« Die Hexe zwinkerte schelmisch mit den Augen. »Es heißt, für einen Mann seist du ganz in Ordnung, deshalb würden wir davon absehen, dich in einen Frosch zu verwandeln, wenn du morgen bei uns hereinschneist. Übrigens hatte ich vor, ein gutes Stück von meinem Schornstein als Imbiss zu reichen.«
    »Ähm … Danke«, entgegnete Till leicht verwirrt.
    »Schade, dass ich die Schlacht am Drachenfels verpasst habe.« Gabriela seufzte. »Man erzählt hier Nebenan eine Menge darüber. Es würde mich nicht wundern, wenn mit der Zeit eine eigene Sage daraus wird und wir alle anfangen uns hier als Sagengestalten zu manifestieren.«
    »Mir wäre es lieber, das alles wäre gar nicht passiert«, entgegnete Till düster. Hätten sie den Erlkönig nicht zum Rückzug durch das Tor gezwungen, würde Neriella noch leben.
    Einen Moment lang herrschte Schweigen zwischen den dreien. Dann schnippte Knuper mit den Fingern und ein recht zerzauster Reisigbesen kam um eine Häuserecke geflogen. »Ich mach mich mal auf den Weg, Kinder. Ich muss noch ein paar Dachschindeln backen und meine Hütte auf Vordermann bringen. Ich möchte mich morgen Abend schließlich nicht schämen müssen.« Sie raffte ihren ohnehin schon recht kurzen Rock, sodass die ganze Pracht ihrer Ringelsocken zu sehen war, schwang sich auf den Besen und flog in Richtung des großen Flusses davon.
    »Du willst hier bleiben?«, fragte Till tonlos.
    »Ja, es ist einfach wunderbar hier! Vielleicht schaffe ich es sogar mit der Zeit, den Hexen über ihren recht verschrobenen Modegeschmack hinwegzuhelfen.«
    »Rolf vermisst dich. Er spricht oft von dir.«
    Gabriela blickte zu Boden. »Es gibt hier niemanden, mit dem man auf so hohem Niveau streiten kann … Ich …« Sie presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Vielleicht kannst du ihn ja mit herüberbringen?«
    »Ich weiß nicht, ob ich noch einmal wiederkomme. Mozzabella will irgendetwas von mir. Hätte sie nicht darauf bestanden, wäre ich wohl nicht zurückgekehrt.«
    »Du solltest etwas sehen. Deshalb wollte Mozzabella, dass du hierher kommst. Diese Welt hat selbst mich verändert!« Sie zögerte kurz, bevor sie fortfuhr. »Ich glaube nicht, dass ich noch einmal zurückkann. Ich will es auch nicht!« Ein trauriger Unterton schwang nun in ihrer Stimme. »Vielleicht kannst du ja Rolf hierher bringen? Dein Wort hat hier Gewicht, Till. Und nun sieh!« Sie löste den schweren, schwarzen Umhang von ihren Schultern und ließ ihn einmal im Kreis um sich wirbeln. Die Luft flimmerte so wie an einem heißen Sommertag. Dann war Gabriela verschwunden und vor Till hockte ein Rabe auf dem Boden, der am rechten Bein einen sehr ordentlich verschnürten Verband aus schwarzem Leinen trug.
    »Fooolge mirrrr!«, krächzte der Vogel und erhob sich in die Lüfte.
    *
    Beinahe einen halben Tag lang folgte Till dem Raben. Wann immer er fast außer Sichtweite geriet, ließ sich der Rabe auf einem Baum nieder und wartete, bis der Student ihn wieder eingeholt hatte. Schließlich erreichten sie einen Wald, der weit im Westen der Feensiedlung Colonia lag.

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