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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Friedhof hinweg und hinterließ beißenden Ozongeruch.
    Als Till den Kopf aus dem Laub hob, konnte er nur undeutliche Schemen erkennen. Eine schwankende Gestalt näherte sich. Pater Wschodnilas? Plötzlich verharrte sie und zog etwas unter ihrem Mantel hervor.
    In diesem Augenblick war es, als würde ein Schleier vor Tills Augen fortgezogen, und abgesehen von einigen Dutzend grellen Lichtpunkten, die durch sein Gesichtsfeld tanzten, sah er wieder klar. Ein Baum, der durch den Blitzschlag in Brand geraten war, erhellte die Szenerie.
    Zu Füßen des Inquisitors lag der Erlkönig. Seine Haare standen ihm wie Stacheln vom Kopf ab. Dünne Rauchfäden stiegen aus seinen Kleidern auf. Er versuchte Tills Schwert zu heben.
    Der Geistliche hielt eine kleine, neongrüne Wasserpistole in der Rechten. »Face diem mei!«, murmelte er in kalter Verachtung und drückte ab. Ein dünner Wasserstrahl spritzte dem Albenfürsten ins Gesicht – und ihr großer Widersacher löste sich binnen eines Herzschlags in ein blassrosa Wölkchen auf.
    Pater Wschodnilas bekreuzigte sich, schob die Wasserpistole in seinen Gürtel und kniete nieder, um zu beten.
    »Till!«, rief Wallerich mit sich überschlagender Stimme. »Schnell, komm her!«
    Die Wurzeln, die den Studenten gefesselt hatten, hatten sich beim Verschwinden des Erlkönigs wieder ins Erdreich zurückgezogen. Etwas linkisch kam Till auf die Beine. Im flackernden Licht der Flammen war Wallerich deutlich zu sehen. Er stand über Neriella gebeugt und fächelte ihr mit seiner roten Schiebermütze Luft zu.
    Eher verwundert als besorgt ging Till zu beiden hinüber.
    »Sie ist ohnmächtig!«, schrie der Heinzelmann verzweifelt. »Und sieh nur, ihre Haut!«
    Der blasse Teint der Dryade wurde dunkler und dunkler. Tiefe Furchen durchzogen ihre Haut. Ihr Gesicht wirkte plötzlich hölzern.
    Ihre Hand schnellte vor und umklammerte Tills Rechte. »Auf … Wiedersehen … mein romantischer … Bilderzauberer. Danke für … das … Meer …«
    »Ganz ruhig«, stammelte Till. »Wir … wir werden dir helfen. Bleib nur ganz ruhig liegen. Wir holen einen Arzt. Die Uniklinik ist keine dreihundert Meter entfernt. Bitte …«
    »Sie verwelkt«, flüsterte Wallerich schockiert.
    Neriellas Hand fühlte sich jetzt an wie morsches, moosbewachsenes Holz.
    »Das kann doch nicht …«
    Der Heinzelmann deutete in Richtung der Flammen. Tränen rannen ihm über die kahl rasierten Wangen. »Ihr Baum … Der Blitz ist in ihren Baum eingeschlagen. Stirbt der Baum, muss auch Neriella vergehen.«
    »Ich werde den Baum retten!« Till stand auf und riss sich den Umhang von den Schultern. Die große Esche stand lichterloh in Flammen.
    Wütend schlug er mit dem Umhang auf das Feuer ein. Es war nicht gerecht. Was hatte Neriella mit all dem zu tun gehabt? Er würde nicht hinnehmen, dass sie sterben musste.
    Funken fraßen sich in seine Kleider. Die Hitze wurde immer stärker. Seine Augen tränten vom Rauch. Bald hatte sein Umhang Feuer gefangen, aber immer noch hieb er auf die Flammen ein. Er würde Neriella nicht aufgeben!
    Schließlich zog ihn eine starke Hand zurück. »Pater Anselmus holt den Feuerlöscher aus dem Wagen«, sagte der Inquisitor. Seine Stimme klang matt. »Ich fürchte, wir sind machtlos. Gottes Wege sind unergründlich, mein Sohn. Du musst nun sehr stark sein!«
    »Till!« Wallerich war gekommen. »Sie ist …« Seine Stimme stockte. »Es ist … Sie ist eins mit der Erde geworden.« Er schluchzte leise. »Wir können nichts mehr für sie tun …«
    »Nein!«, schrie Till und begann erneut mit seinem zerfetzten Umhang auf die Flammen einzuschlagen. Die Hitze war so groß geworden, dass sie ihm Wimpern und Augenbrauen versengte.
    Schließlich zerrten ihn der Inquisitor und seine Söldlinge fort. In der Ferne erklangen Martinshörner.
    »Wir müssen hier weg!«, sagte der alte Priester energisch. »Es bleibt nichts mehr zu tun.«
    *
    Till stand neben dem, was von Neriellas Baum noch geblieben war. Am Vortag hatten Angestellte des Gartenbauamts die ausgebrannte Esche mit Motorsägen zerteilt. Überall lag Sägemehl auf den verfaulenden Blättern des kleinen Friedhofs. Für Till sah es wie Blutlachen aus. Er biss sich auf die Lippen und versuchte sich seinen Tränen zu verweigern.
    Jemand räusperte sich leise. Wie aus dem Nichts war Wallerich neben ihm aufgetaucht. Er hielt einen kleinen roten Blumentopf in den Händen. Ein winziger Schössling mit zwei hauchzarten grünen Blättern ragte aus der dunklen

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