Nekropole (German Edition)
beiden Tagen war Abu Dun sowohl ihm als auch dem Mädchen aus dem Weg gegangen, soweit das in der Enge eines so kleinen Schiffes möglich war. Gesprochen hatte er während der gesamten restlichen Überfahrt kein einziges Wort mehr mit ihnen. Mit Andrej übrigens auch nicht viel mehr.
»Was macht dir Sorgen, Andrej?«, fragte Hasan geradeheraus.
»Sorgen?« Andrej schüttelte den Kopf. »Sieht man mir das so deutlich an?«
»Vielleicht«, antwortete Hasan mit einem Lächeln, das seine Augen wie so oft nicht erreichte. »Vielleicht bin ich ja auch nur ein guter Beobachter.«
»Ich mache mir keine Sorgen«, behauptete Andrej. »Hätte ich denn Grund dazu?«
»Nein«, erwiderte Hasan. »Und habe ich dir schon gesagt, dass du ein schlechter Lügner bist?«
»Mehrmals«, sagte Andrej. Das Poltern, als Abu Dun seine Last mit einem Poltern im Schiffsinneren ablud, brachte für einen Moment alle Gespräche zum Verstummen. Im Stillen war Andrej ihm fast dankbar. Als er zurückkam, um nach einem weiteren Opfer für seine unerwünschte Hilfe zu suchen, hatte auch der Assassine sein Gespräch mit dem Fremden beendet und kam wieder an Deck, um Ali im Flüsterton Bericht zu erstatten. Andrej sah aus den Augenwinkeln, dass nun nur noch zwei Männer am Ende des Piers standen und das Treiben rings um die
Pestmond
beobachteten, während sich der Dritte schnellen Schrittes entfernte.
»Es ist alles vorbereitet«, sagte Ali, nachdem der Mann fertig war. »Ein Wagen ist unterwegs, um uns abzuholen.«
Abu Dun runzelte die Stirn und schwieg. Andrej horchte auf. Irgendetwas war hier faul.
»Das gefällt mir nicht«, sagte er.
Ali wandte sich demonstrativ ganz zu ihm um und maß ihn mit einem fast verächtlichen Blick. »Es hat alles seine Richtigkeit. Ich fürchte, unser kleines Geheimnis ist nicht mehr ganz so geheim. Es ist besser, wenn nicht noch mehr von unserer Ankunft erfahren, als unbedingt notwendig ist.«
»Ich verstehe«, stichelte Abu Dun in seiner Muttersprache. »Und deshalb lässt er auch den halben Fluss absperren, weil das ja so gar nicht auffällt und sich niemand irgendetwas dabei denken könnte, nicht wahr?«
»Die Menschen hier haben zurzeit ganz andere Sorgen«, antwortete Hasan, nicht nur im gleichen nubischen Dialekt, sondern um etliches flüssiger und akzentfreier, als Abu Dun es getan hatte. »Und wenn sie reden, dann werden sie allenfalls annehmen, dass hier irgendwelche zwielichtigen Geschäfte getätigt werden, von denen niemand wissen soll.«
Was in gewisser Weise ja sogar der Fall war, dachte Andrej. Wenn auch von einer ganz anderen Art, als jeder ahnen mochte, der sich vielleicht darüber wunderte, dass man ihm den Zugang zu diesem Pier verwehrte. Vielleicht hatte Hasan gar nicht einmal so unrecht, und es war manchmal das Unauffälligste, sich möglichst auffällig zu verhalten.
»Und wir lassen ja auch noch dieses wunderschöne Schmugglerschiff zurück, über das jeder so lange nachdenken kann, wie er möchte«, fügte Abu Dun jetzt wieder auf Italienisch hinzu.
Hasan nickte und wandte sich dann mit einem fragenden Blick an Don Corleanis, der in wenigen Schritten Abstand stehengeblieben war und all seine Willenskraft zu brauchen schien, um nicht doch noch auf die Knie zu fallen. »Falls du es dir nicht doch noch anders überlegst und das Schiff behältst. Ich habe es ernst gemeint. Die
Pestmond
gehört dir, wenn du es möchtest. Sie ist ein gutes Schiff, aber ich habe keine Verwendung mehr dafür. Und das ist das Mindeste, was ich dir und deinen Männern als Dank schuldig bin.«
»Das ist ein … zu großzügiges Geschenk, Emi … Ich meine, Hasan«, stammelte Corleanis. Immerhin gelang es ihm nun, nach zwei Tagen in seiner Gesellschaft, Hasans direktem Blick standzuhalten, ohne vor Ehrfurcht zu erstarren. Doch dabei war er so nervös, dass seine Stimme noch misstönender und schriller wurde und Andrej sich große Mühe geben musste, um nicht zu grinsen. »Ich kann … also, es … es unmöglich annehmen.«
»Du weigerst dich, ein Geschenk von mir anzunehmen?«, fragte Hasan. Er tat es mit einem leichten Lächeln und in gutmütig spöttischem Tonfall, aber Corleanis’ Nervosität nahm nur noch einmal zu.
»Das ist es nicht«, versicherte er hastig. »Aber ein solches Schiff … ist nichts … nichts für einen Schmuggler. Ich meine, wir … also, wir bevorzugen eher die kleineren Boote, die ein wenig … schlichter sind, wie Ihr wisst. Verzeiht, ich meine natürlich, also, ich … ich wollte
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