Nekropole (German Edition)
Alten vom Berge, einem selbst ernannten Schmugglerkönig oder dem Papst höchstpersönlich gegenüberstand. Doch nun war er tatsächlich befangen. Wie auch nicht, stand er doch dem mächtigsten Mann der Welt gegenüber, zumindest, was diesen Teil des Erdballes anbelangte.
Oder er war es einmal gewesen.
Hasan, der jetzt wieder schwer auf einen Stock gestützt ging, den er gar nicht benötigte, schenkte ihm ein angedeutetes Lächeln und trat dann zwischen Ali und ihm an die Bordwand, um seinen Blick aufmerksam über den Pier tasten zu lassen. Soweit Andrej in seinem Gesicht lesen konnte, schien er mit dem zufrieden zu sein, was er sah.
Ihm selbst erging es vollkommen anders. Er hörte nicht mehr hin, als Ali etwas zu seinem Herren sagte, sondern tat das, was er eigentlich gleich am Anfang hätte tun sollen, und unterzog seine Umgebung einer zweiten und aufmerksameren Musterung, diesmal mit den Augen eines Kriegers.
Nur sehr wenig von dem, was er sah, gefiel ihm. Beiderseits der
Pestmond
hatten zahlreiche und ausnahmslos kleinere Schiffe angelegt, von denen etliche so tief im Wasser lagen, als würde die stinkende Kloake des Tiber sie gierig auf den Flussgrund ziehen. Eine lange Reihe heruntergekommener Lagerhäuser und Schuppen erhob sich auf der anderen Seite einer Straße, die gut noch aus der Zeit des römischen Imperiums hätte stammen können, wäre sie nicht – wenngleich schlampig – gepflastert gewesen; und überall gewahrte er Karren und Wagen und Stapel mit Waren, die vielleicht auf den Abtransport in die eine oder andere Richtung warteten. Was er nicht sah, waren Menschen.
Die Erkenntnis traf ihn so plötzlich, dass er erschrocken zusammenfuhr. Unwillkürlich näherte sich seine Hand auf halbem Wege dem
Saif
, den er unter dem Mantel verborgen am Gürtel trug. Wie hatte ihm das entgehen können?
Auch der Rest von Alis überlebenden Assassinen begann nun, das Schiff zu verlassen. Ein Dutzend von Corleanis’ Schmugglern war inzwischen schon damit beschäftigt, die
Pestmond
endgültig zu löschen, Kisten und Säcke am Ufer zu stapeln oder zu tun, was Schmuggler taten, wenn sie nicht schmuggelten. Währenddessen standen die drei Fremden immer noch in einiger Entfernung da und blickten zu ihnen hoch.
Abgesehen von den drei Männern und denen, die mit der
Pestmond
gekommen waren, war die gesamte Anlegestelle verwaist. Andrej sah buchstäblich keine Menschenseele.
»Andrej?« Ali hatte sein Gespräch mit Hasan unterbrochen. »Was hast du -«
»Nichts«, antwortete Andrej, und Abu Dun fügte hinzu: »Das ist es ja gerade.«
»Was meinst du damit?«, fragte Ayla und nutzte die Gelegenheit auch gleich, Andrej ein warmes Lächeln über den Rand ihres schwarzen Schleiers hinweg zu schenken.
»Er will damit sagen, dass es zu still ist«, sagte Andrej, während er den Blick aufmerksam über die Straße schweifen ließ. »Das hier ist Rom, kein verstecktes Schmugglernest. Wo sind die Menschen? Schiffe ziehen Neugierige an. Aber hier ist niemand.«
»Das hast du scharf beobachtet«, sagte Ali. »Wie gut, dass wir einen Mann wie dich bei uns haben. Ich fühle mich schon viel sicherer.«
Andrej sah aus den Augenwinkeln, wie Abu Dun zu einer patzigen Entgegnung ansetzte, doch Hasan war schneller. »Nimm es Ali nicht übel, Andrej. Er ist wohl nur ein wenig enttäuscht, dass es dir aufgefallen ist. Er hätte es wohl lieber als Erster gemerkt.«
»Wir sind hier, damit uns so etwas auffällt«, sagte Abu Dun. Auch seine Hand lag auf dem Schwert, das er anders als Andrej ganz offen trug. Eine solch monströse Klinge verbergen zu wollen, wäre auch ziemlich schwierig gewesen.
»Nein, mein Freund.« Hasan lächelte auf eine Weise, als wisse er etwas, das Abu Dun noch unbekannt, aber von großer Wichtigkeit war.
»Deshalb
seid ihr nicht hier.«
Abu Dun setzte dazu an, etwas zu sagen, hob dann aber nur die Schultern und riss dem nächstbesten Mann seine Last so grob aus den Händen, dass der arme Bursche um ein Haar von der Planke gestürzt wäre. In Aylas Augen, wie üblich nahezu das Einzige, was über dem bestickten Schleier von ihrem Gesicht zu sehen war, blitzte es amüsiert auf, während Clemens – Hasan! – fast schon ein bisschen verletzt aussah.
»Man könnte meinen, dein Freund geht mir aus dem Weg«, sagte er.
»Oder mir«, fügte Ayla hinzu. Anders als Hasan klang sie fast erleichtert.
Genau genommen hatten beide recht, auch wenn Andrej sich hütete, etwas darauf zu sagen. In den zurückliegenden
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