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Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Titel: Nemesis 04 - In dunkelster Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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aber ich wünschte, ich hätte auch eine Hand voll von dem Zeug. Sie mussten eine ungemein stabilisierende Wirkung haben: Nichts erinnerte noch an Ellens Aussetzer im Hof, geschweige denn an den, den sie kurz nach Stefans Verlust erlitten hatte. Auf einmal steckte sie wieder ganz in der Rolle der kühlen, unnahbaren Ärztin, die jedes noch so schwer verwundete, oder wie in diesem Fall gar seinen Verletzungen erlegene Opfer, mit einer oberflächlichen Routine betrachtete, die ich eigentlich als etwas Abstoßendes, nahezu Verachtenswertes empfand, in diesem Fall aber beruhigt zur Kenntnis nahm. Die Ärztin Ellen konnte ich getrost von ganzem Herzen hassen – vor der Irren ohne Disziplin und Selbstkontrolle hingegen fürchtete ich mich ein wenig, und ein zusätzlicher Angstfaktor war das Letzte, was ich in unserer aktuellen Lage gebrauchen konnte.
    »Das ist alles nur eine Frage der Erziehung, Schätzchen«, säuselte Ellen besserwisserisch. »Kinder können unendlich viel grausamer sein, als Erwachsene.«
    Und ob sie das konnten, pflichtete ich ihr im Stillen bei.
    Vor meinem inneren Auge erschien für einen kurzen Moment Miriam, wie sie mich ein letztes Mal ansah mit dem Blick eines Menschen (Eines Kindes, verdammt noch mal! Sie war doch noch ein Kind, dreizehn, vielleicht vierzehn Jahre alt, auf keinen Fall auch nur einen einzigen Tag älter!), der mit unerschütterlicher Gewissheit wusste, dass er sterben würde – in den Tod getrieben von anderen Kindern (War sie wirklich tot? Hatte sie es tatsächlich getan? Hatte ich sie wirklich nicht mehr davon abhalten können, sich zu töten, ehe sie sie in Stücke rissen?!). Die Stimmen der Kinder, die uns den Turm hinauf getrieben hatten, hallten in meinen Ohren wider, als wären sie in diesen Sekunden wieder da, als hätten sie aus meinem Traum in fast greifbare Nähe zu mir in die Realität aufgeholt und lachten ihr grausames, kaltes Lachen, das keine andere Interpretation zuließ als blutrünstige, sadistische Freude.
    Aus meinem Traum, ja. Ich versuchte, die Erinnerung an den immer wiederkehrenden, schrecklichen Albtraum aus meinem Bewusstsein zu verdrängen. Es war ein grausamer Traum gewesen, finstere Fantasien, deren Wurzeln mir nicht bewusst waren – nichts weiter oder weniger noch als Schall und Rauch. Ich hielt nichts von Traumdeuterei, ebenso wenig wie von Horoskopen und Menschen, die behaupteten, das zu erwartende Lebensalter eines anderen anhand der Länge seines großen Zehs voraussagen zu können. Das alles war nicht meine Welt, und ich durfte nicht zulassen, dass sich das Grauen, das im Schlaf und in der Bewusstlosigkeit über meinen wehrlosen Verstand herfiel, mit den Schrecken dieser Horrornacht vereinte und ein hochgradig paranoides, vielleicht nicht einmal mehr medikamentös behandelbares, nervliches Wrack aus mir machte, das von den hässlichen Stimmen von zu Dämonen mutierten Kindern verfolgt wurde. Miriam ... Ich kannte kein Kind mit diesem Namen und hatte auch nie eines gekannt!
    Aber ich kannte Maria. Maria, die in der Gestalt einer Erwachsenen vor mir gestanden und mit der Stimme eines Kindes zu mir gesprochen hatte. War sie der Schlüssel zur Lösung aller Fragen? Hatten sie vielleicht doch ein bisschen Recht, diese Neuzeitschamanen, die behaupteten, dass uns im Traum ein Teil des Unterbewusstseins zugänglich wurde, der uns im Wachzustand verborgenen blieb? Und wenn ja: Was hatte Maria mit diesen Kindern, mit diesen unmenschlichen Bestien zu tun? Woher kannte sie Miriam, und warum hasste sie sie so? Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich das Gefühl, der Antwort auf all diese Fragen zum Greifen nahe zu sein – ein Moment, der schneller wieder vorüber war, als ich ihn als solchen realisieren konnte. Miriam konnte nicht lediglich eine Ausgeburt meiner kranken Träume gewesen sein, Himmel und Hölle noch mal! Dazu war ihr Bild zu deutlich, zu unveränderbar, zu vertraut! Wo hatte ich sie getroffen? Und warum, zum Teufel, konnte ich mich nicht daran erinnern?
    Mein Blick wanderte wieder zu Ed hinüber. Ich hätte es begrüßt, in ein leichenblasses, meinetwegen auch blutverschmiertes Gesicht zu sehen, zumindest in Anbetracht dessen, womit ich mich stattdessen wieder konfrontiert sah: Der grünlich-gelbe Farbton seiner Haut erinnerte mich an den des saftigen Steaks, das ich vor nicht allzu langer Zeit in meinem Gefrierfach im Kühlschrank zurückgelassen hatte, ehe ich kurz entschlossen per Anhalter zu einer Rucksacktour durch die Rocky

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