Nemesis 04 - In dunkelster Nacht
der untersten Stufe. Der Regen hatte aufgehört, aber noch immer versperrten dichte, tief hängende Wolken die Sicht auf den Mond, sodass es außerhalb des Gebäudes stockfinster war. Wo genau mochte Marias Leiche liegen, dachte ich und starrte eine Sekunde lang angestrengt in die Finsternis hinaus. Aber ich konnte sie nirgends entdecken. Vielleicht hatte man sie auch fortgeschafft? Wenn auch sie verschwunden war, dann konnte Carl zumindest nicht weiterhin darauf bestehen, dass sie Stefans toten Körper davongetragen hatte. Es würde genügen, wenn der Wirt nur ein einziges Mal in Richtung des Turmes leuchten würde, dann wüssten wir, ob wir allein hier waren, oder eben nicht.
»Bist du sicher, dass Maria wirklich tot ist? Vielleicht braucht sie Hilfe«, versuchte ich es auf eine Art und Weise, die so dämlich war, dass ich mich im selben Augenblick, in dem ich die Worte aussprach, schon wieder dafür schämte und verfluchte.
»Wer sich eine Kugel durch den Kopf schießt und dann noch zwanzig Meter von einem Turm fällt, der braucht keine Hilfe mehr.« Der Wirt lachte bitter.
»Sollten wir dann nicht wenigstens ihre Leiche mit einem Tuch bedecken?«, fragte Judith, von der ich glaubte, dass sie verstanden hatte, worauf ich hinaus wollte.
Carl schnaubte verächtlich und maß uns alle mit einem abwertenden, geradezu angeekelten Blick. »Seid ihr denn alle nekrophil?«, fragte er verärgert. »Euer Interesse für Leichen ist ja beängstigend. Ich habe für heute ... ach, was sage ich ... Ich habe für den Rest meines Lebens genug Tote gesehen!« Er versetzte mir einen groben Stoß in den Rücken, der mich auf den Ausgang zutaumeln ließ, und leuchtete mit dem Strahl der Taschenlampe in Richtung des kleinen Lehrerhauses an der schräg gegenüberliegenden Seite des Burghofs. »Dort spielt die Musik«, sagte er und trieb Ellen, Judith und mich wie ungehorsame Kinder vor sich her durch die noch immer fast knöcheltiefen Pfützen auf dem Hof. »Wir werden alle zusammen in den Keller steigen. Und dann holen wir uns das Gold.«
War der fettleibige Wirt denn wirklich so naiv, fragte ich mich, während ich nach Judiths Hand griff und Ellen und Carl Seite an Seite durch die Finsternis vorausging, oder trieb er ein abgrundtief böses Spiel mit uns? Wartete dort drüben im Keller vielleicht ein Komplize des Wirts, der die Leichen geholt hatte, und dem der Althippie nun auch noch die letzten drei Überlebenden ans Messer lieferte?
Wir würden es erfahren, und das vielleicht viel schneller, als uns recht sein konnte.
ENDE
des vierten Teils
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