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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
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maß, während er eine kurze Denkpause einlegte. »... unter unschönen Umständen getrennt«, sagte er schließlich.
    »Aber heute Abend hast du mir bewiesen, dass du immer noch mein Musterschüler bist. Sehr eindrucksvoll und ...
    unerwartet. Aber das war ja schon immer deine Spezialität, Frank Gorresberg. Etwas zu tun, womit keiner rechnet.«
    Das Lächeln gefror bei den letzten Worten auf Sängers Lippen; ein Muskel in seiner linken Wange zuckte und ließ das welke Fleisch erzittern.
    »Der Zwölfjährige, der mich gezwungen hat, diese Schule zu schließen«, fuhr er nach einer kleinen Weile bitter fort. »Es gab Zeiten, da hätte ich dich am liebsten tot gesehen. Wärst du nicht der Begabteste von allen gewesen.« Er schüttelte seufzend den Kopf. »So nah waren wir an unserem Ziel. Du durftest nicht sterben, weißt du. Du warst das Kind, das sich Hitler von uns gewünscht hatte, auch wenn du viel zu spät geboren wurdest. Ein Junge, mit dem ein neues Zeitalter beginnen konnte.«
    Man behauptet schnell von sich, das Gefühl zu haben, im falschen Film gelandet zu sein. In diesem Augenblick aber gab es keine zutreffendere Beschreibung für das, was in mir vorging. Ich kam mir vor wie in einen kranken Psychothriller versetzt, in dem ich unfreiwillig die Hauptrolle des Helden, der dazu bestimmt war, die Welt zu retten, spielte. Gleichzeitig aber fühlte ich mich regelrecht auf den Arm genommen. Was wollte Sänger von mir?
    Welches wahnwitzige Spielchen spielte er? Ich hatte ihn auf Bildern gesehen, meinetwegen auch in meinen Träumen, aber das war alles, was uns miteinander verband. Ich kannte diesen Mann nicht. Ich war nicht sein Schüler und würde es nie werden, darüber hinaus war ich mit Sicherheit der letzte Mensch auf dieser Welt, mit dem, wie er es nannte, ein neues Zeitalter beginnen konnte.
    Nach Carl und Ed, wie sich von selbst versteht.
    Ich starrte den Professor mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Zweifel an, wobei ich nicht hundertprozentig sicher war, ob ich tatsächlich an seinem Verstand oder lieber an meinen Sinnen zweifeln sollte, die meinem Hirn mitteilten, dass ich mich, an eine Unzahl von Schläuchen und Kabeln angeschlossen, in einer kleinen Kammer befand, mit einem nahezu hundertjährigen Mann, der mir gerade mitzuteilen versuchte, dass in meiner Wenigkeit das Schicksal der Menschheit begründet liegen sollte. Das Kind, das sich Hitler gewünscht hatte?! Der Alte musste völlig senil sein. Abgesehen von der Tatsache, dass kein Mensch auf der Welt sich einen Taugenichts, wie ich einer war, gewünscht hätte (nicht einmal ich selbst, und ein verblendeter Nazi wie Hitler schon mal gar nicht!), einen unbeständigen Charakter, der mit sich selbst nichts anzufangen wusste, als von hier nach dort zu ziehen, sich treiben zu lassen und keinen Gedanken daran zu verschwenden, wo er morgen jobbte, solange er heute noch ein paar Nudeln mit Butter und Salz auf dem Teller liegen hatte, war ich mehr als dreißig Jahre nach Ende des Krieges geboren worden. Sänger musste über die sichtbaren Zeichen hinaus, die die Zeit hinterlassen hatte, noch einige andere Defekte davongetragen haben, anders ließ sich sein irres Gefasel nicht erklären.
    Tragischerweise wirkte jedoch der Ausdruck, den ich in seinen Augen entdeckt hatte, ehe er die Brille aufgesetzt hatte, kein bisschen senil, so dass die Fassungslosigkeit des ersten Moments nicht so einfach einem überheblichen, jugendlichen Spott weichen konnte, sondern stattdessen einem Gefühl von Verunsicherung und Irritation Platz machte.
    Der Alte blickte mich forschend an und schwieg.
    »Ich weiß, was jetzt in dir vorgeht«, behauptete er schließlich mit einem dünnen Lächeln, als er feststellte, dass ich nicht vorhatte, irgendetwas zu sagen. »Du warst schon immer zu emotional. Schon als du ein Kind warst, konnte ich deine Gedanken von deinem Gesicht ablesen.«
    Glückwunsch, dachte ich im Stillen. Gib mir einen Spiegel, wenn meine Mimik so redselig ist. Vielleicht verstehe ich mich dann auch ...
    »Das war dein größter Mangel«, fuhr Sänger kopfschüttelnd fort und brach ab, als einer der Bildschirme an der Wand plötzlich aufleuchtete.
    Der Professor wandte den Blick von mir ab, und auch ich wandte meine Aufmerksamkeit dem Monitor zu, auf dem in dieser Sekunde das Bild eines mit Blutschlieren verschmierten Stahltischs in einem Operationssaal sichtbar wurde. Ellen wurde von zwei Schwestern in den Saal geführt. Wie ich trug sie nichts als ein

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