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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
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das mir dabei in den Unterarm schnitt, einfach ignorierte. Klackend sprang die Tür schließlich auf, und ich riss die Beifahrertür auf.
    »Steig ein!«, brüllte ich.
    »Wir haben keine Schlüssel«, erwiderte Ellen, gehorchte aber trotzdem mit einem Ausdruck der Resignation auf dem Gesicht.
    Ich eilte um den Wagen, öffnete hektisch die Fahrertür und griff nach den Kabeln unter dem Lenkrad, um daran zu zerren. »Manche Jugendsünden zahlen sich aus«, antwortete ich und schlug zwei Kabel aneinander.
    Blaue Funken glühten im Zwielicht der Garage auf.
    Dann sprang der Wagen an, und ich warf mich mit einem Anflug von kurzfristiger Erleichterung auf den Fahrersitz und trat das Gaspedal durch. Die Scheinwerfer des Lieferwagens schnitten durch die Dunkelheit. Irgendwo hinter uns erklang ein dumpfes Donnern.
    Mit quietschenden Reifen schossen wir die Auffahrt hinauf, die sich in weiten Spiralen nach oben wand. Ich musste etwas vom Tempo zurücknehmen, um nicht gegen die Betonwände zu schrammen, was mir nicht leicht fiel, denn selbst im Wagen war deutlich zu spüren, wie der Boden unter uns erzitterte. Betonstaub rieselte von der Decke.
    Wieder ertönte das Donnern – näher und bedrohlicher diesmal.
    Eine gelb und schwarz gestreifte Schranke versperrte die Ausfahrt. Ich trat das Gaspedal wieder bis zum Anschlag durch, und der Wagen machte einen Satz nach vorne.
    Splitternd flog die Schranke zur Seite.
    Das grelle Licht eines Sommernachmittags traf mich wie ein Schlag. Alles verschwamm für einen kurzen Moment vor meinen Augen, blinzelnd versuchte ich, den kleinen Lieferwagen in der Spur zu halten. Ich durfte jetzt nicht langsamer werden. Wie Hagel prasselten Steinsplitter auf den Wagen herab, und hinter uns erklang eine Detonation mit ohrenbetäubender Wucht. Die Druckwelle erfasste den Lieferwagen und drückte ihn aus der Spur, wie der Schlag eines riesigen, unsichtbaren Hammers. Funken stoben auf, als die Fahrerseite an der Betonmauer der langen Ausfahrt entlangschrammte.
    Der asphaltierte Einfahrtsweg zum Firmengelände führte auf ein großes stählernes Schiebetor zu. Dort würden wir niemals hinauskommen! Der Wagen vermochte die Flügel nicht aufzustoßen, und ich war viel zu schwach, um es kletternd zu überwinden, von Ellen ganz zu schweigen!
    Ich riss das Lenkrad herum. Holpernd preschten wir durch eine nach japanischem Vorbild gestaltete, gepflegte Gartenlandschaft mit breiten Kiesbetten, als ein faustgroßer Betonbrocken durch die Windschutzscheibe flog und zwischen uns hindurch auf die Rückbank polterte. Ellen schrie auf, und aus ihrer Stimme klang nicht nur Schrecken, sondern auch schrecklicher Schmerz. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass das Geschoss die Ärztin gestreift hatte. Ihre linke Schulter war kaum mehr als ein blutiger Klumpen Fleisch, aber sie lebte, und ich musste dafür sorgen, dass das noch lange so blieb.
    Rings um uns herum schlugen Betonbrocken wie ein Granatfeuer ein, schwarze Rauchschwaden zogen wie Schleier durch die Gartenlandschaft.
    Der Wagen walzte einen Maschendrahtzaun nieder.
    Wenige Meter später gelangten wir auf die Straße, die zum Burgberg hinaufführte. Noch immer schlugen ringsherum kleine und große Betonklumpen auf. Im Rückspiegel konnte ich die Burg erkennen. Ein Rauchkegel stand über der alten Festungsanlage. Wie in Zeitlupe neigte sich der massige Burgfried zur Seite und rutschte dann in einer alles vernichtenden Lawine den Hang hinab.
    Sänger ist gründlich gewesen, dachte ich bitter, während ich in halsbrecherischem Tempo die Straße in Richtung Dorf fuhr. Von der Burg und den Laboren würde so gut wie nichts übrig bleiben. Alles war vernichtet oder würde unter hunderten Tonnen von Stein begraben sein. Es würde ein Vermögen kosten, wenn man versuchte, den Schutt beiseite zu räumen, und diese Mühe würde sich niemand machen. Man würde irgendeine Geschichte erfinden und verbreiten. Vielleicht, dass ein altes Munitionslager aus dem Krieg explodiert wäre. Sängers Mitstreiter würden sicherlich ganze Arbeit leisten, wenn es darum ging, zu verschleiern, was in der Burg geschehen war.
    Und irgendwo – vielleicht gar nicht weit von hier – würden noch in dieser Nacht die ersten Eizellen befruchtet. Die vierte Generation. Sie würde die Welt verändern.
    Und die meisten Menschen würden es nicht einmal bemerken. Im Gegenteil: Die Welt würde friedlicher werden. Sie würden ein wenig Zeit brauchen, um die Welt zu verändern. Aber wahrscheinlich nicht

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