Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
Die Einwohner der sonst so verschlafenen kleinen Stadt an der kanadischen Grenze drängen sich auf den Bürgersteigen, die Autos auf den Straßen ebenso. Es riecht nach Schnee und heißen Maronen, nach Holzkohle und Autoabgasen. Ich bin hin- und hergerissen, ob ich diesen Geruch nun angenehm finden soll, oder eher nicht.
Ich trage einen Strickpullover und eine dicke Jacke; meinen Schal habe ich mir bis über den Mund hochgezogen, eine warme Mütze schützt meine empfindlichen Ohren. Und trotzdem ist es noch klirrend kalt. Aber die Kälte stört mich nicht. Zum ersten Mal seit Wochen kann ich mich frei bewegen. Durch die dicke Kleidung erkennt mich hier niemand.
Allerdings läuft ein älterer Mann hinter uns und tritt mir die ganze Zeit schon in die Hacken. Zuerst denke ich, es passiert aus Versehen, bis er beginnt, mich vor sich her zu schubsen. Ich hasse Gedränge …
»Meinst du, wir können uns nachher in ein Café setzen und etwas Heißes trinken?«, frage ich meine Schwester.
Caro nickt. »Klar! Wir kaufen nur noch schnell dieses Lernspiel für Matty, dann sind wir mit der Liste durch.«
Gesagt, getan. Nur etwa anderthalb Stunden, eine Schlenkerpuppe, einen Schal und zwei Mützen, zwei neue Schnuller, ein Paket Babywindeln, ein Feuerwehrauto und
kein
Lernspiel für Matty später sitzen wir uns in einem gemütlichen Eck-Café gegenüber. Der Raum erinnert mich an das Café unserer Serie. Schnell wische ich den Gedanken weg.
Den Trubel und Vorweihnachts-Stress haben wir draußen gelassen. Hier herrscht entspannende Ruhe. Auch Eva schläft friedlich in ihrem Kinderwagen, was mir Gelegenheit gibt, endlich in Ruhe mit Carolin zu sprechen.
Noch einmal inhaliere ich den Dampf meines Cappuccinos, bevor ich ihr meine Entscheidung mitteile.
»Ich hänge meine Karriere an den Nagel, Caro. Jedenfalls den Teil, der vor den Kameras stattgefunden hat«, beginne ich ohne weitere Umschweife.
Meine Schwester mustert mich eingehend. Ihren kritischen Gesichtsausdruck kenne ich nur allzu gut von mir selbst. Sie prüft, ob nicht doch etwas Wankelmütiges in meiner Mimik liegt, und stellt ihre Tasse vor sich ab, als sie nichts entdeckt. »Du bist dir sicher!«
»Absolut!«, bestätige ich. »Ich gehöre nicht zu denen, Caro. Ich bin kein Star, der glitzert und glänzt und der es liebt, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Nicht in dem enormen Stil der vergangenen Wochen.« Mein Blick verfinstert sich unter den Erinnerungen diverser Begegnungen mit den Paparazzi. »Das war furchtbar! Und daran könnte ich mich nie gewöhnen, niemals. Nein, ich werde zurück ans Theater gehen. Definitiv!« Nach einer Weile des Schweigens füge ich hinzu: »Ich habe großartige Rollen angeboten bekommen, an Bühnen, von denen ich vor ein paar Jahren noch nicht einmal hätte träumen können. Ich will nur spielen, verstehst du? Dieser ganze Trubel ist mir zu viel. Das alles ist nicht in meinem Sinn, es macht mich nur kaputt.«
Carolin betrachtet mich. Sie weiß, was ich in den vergangenen Monaten mitgemacht habe. Ich selbst habe ihr nicht allzu viel erzählt; das meiste hat sie, wie alle anderen auch, durch die Presse erfahren.
Aber sie kennt mich. Sie sieht den Kummer, der in meinem Herzen wühlt und den ich vergeblich vor ihr zu verbergen suche. Unter ihrem Blick verspüre ich bald schon den Drang, ihr genau zu erklären, was mich zu meiner Entscheidung bewogen hat.
»Weißt du, ich liebe es, in fremde Rollen zu schlüpfen, mich mit dem Denken anderer Menschen zu befassen und die Anerkennung meiner Leistung – so sie denn stimmt – in Form von Applaus entgegenzunehmen. Aus der Distanz. Aber als meine eigene Person, als Ben Todd, hasse ich diese überzogene öffentliche Aufmerksamkeit, die mir besonders während der letzten Wochen zuteilgeworden ist. Und die reinere Art des Schauspiels – ohne dieses Drumherum – finde ich nur am Theater.«
Caro nickt lange, während sie an dem Griff ihrer Tasse spielt.
»Ich bin mir sicher, dass dein Entschluss richtig ist«, sagt sie schließlich. »Es gibt nur eine Sache, die ich noch wissen muss, Ben.« Nun sieht sie mich wieder an – und zwar so direkt und tief, dass es mir flehend erscheint. »Ist es ihretwegen?«
Ich weiche nicht aus, auch wenn Caro mit Sicherheit sieht, wie schwer mir die Antwort fällt. Schließlich schüttele ich den Kopf. »Nein! Es ist allein meine Entscheidung. Sarah weiß es nicht einmal.«
Meine Schwester streckt ihre Hand aus und legt sie auf meine. »Dann
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