Neongrüne Angst (German Edition)
Eine erfreute Altenpflegerin strahlte ihn an: »Besuch, der mit Blumen kommt, ist uns immer willkommen.«
Leon zwinkerte ihr zu. »Leider sind die Blumen nicht für Sie. Ich suche Frau Seidel.«
»Ach, da wird sie sich aber freuen.«
Frau Seidel hatte ein Einzelzimmer. Auf der Fensterbank standen weiße und rosafarbene Orchideen, die ihre Blüten in voller Pracht zum Licht reckten.
Die gute Dame saß im Bett und sah aus dem Fenster. Dort hüpften ein paar Spatzen herum, wie ihre Spielkameraden.
Sie hatte neben sich auf dem Nachttischschränkchen eine Schnabeltasse stehen und eine offene Packung mit Schokokeksen.
Zunächst reagierte sie gar nicht auf Leon und Tanja. Dann streckte sie den rechten Arm aus und sagte: »Pit!«
Es kam Leon gar nicht ungelegen, dass sie ihn für ihren Sohn hielt. Er kam näher und zeigte ihr die Blumen. »Die hab ich mitgebracht. Gefallen sie dir?«
»Ich besorg uns eine Vase«, sagte Tanja und war froh, einen Grund zu haben, aus dem Zimmer zu verschwinden. Sie bekam hier kaum Luft. Sie hatte das Gefühl, nicht da sein zu dürfen und etwas absolut Verbotenes zu tun.
Frau Seidel deutete auf die Schnabeltasse. Leon begriff, dass sie Durst hatte. Er legte den Blumenstrauß am Fußende auf ihr Bett und führte die Schnabeltasse zu ihrem Mund.
Sie trank gierig. Ein paar Tropfen liefen aus ihrem Mundwinkel ihren Hals herunter.
Er zog ein Papiertaschentuch aus seiner Jeans und trocknete ihren Hals ab. Dann fragte er: »Erinnern Sie sich an Ihre Ferienwohnung in Norddeich, Frau Seidel?«
Sie antwortete etwas Unverständliches, und ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. Die Haut über ihrer Nase kräuselte sich.
Leon vermutete, dass sie sich nun fragte, ob er wirklich ihr Sohn war, denn er hatte sie gesiezt.
»Wissen Sie noch, in welcher Straße das Haus ist?«
Sie nickte und antwortete: »Ich bin vierundachtzig Jahre alt.«
»Ja, das habe ich nicht bezweifelt. Das ist ein hohes Alter. Aber wissen Sie denn auch, wo Ihr Ferienhaus ist? Sie haben da bestimmt oft Urlaub gemacht, mit ihrem Mann.«
Sie machte einen Schmatzlaut. »Hm. In Norddeich. Hinter der Seehundstation.«
Na, dachte Leon, das ist doch schon mal ein Hinweis.
Dann verzog sie den Mund. Es fiel ihr schwer, das Wort auszusprechen. »Pfiffstraße.«
»Pfiffstraße?«
Sie schüttelte den Kopf und wiederholte dann: »Pfiffstraße.« Wieder schmatzte sie.
»Ich verstehe Sie nicht richtig, Frau Seidel. Haben Sie Pfiffstraße gesagt?«
Sie bekam einen strengen Blick und brüllte ihn dann richtig an. »Riffstraße!«
»Danke«, sagte er. »Herzlichen Dank.«
Er wollte das Zimmer schon wieder verlassen. In dem Moment kam Tanja mit der Blumenvase zurück. Leon stellte den Strauß rein und platzierte die Vase auf dem Tisch.
Tanja schlug vor, noch Wasser in die Vase zu tun, doch Leon sah sie nur mitleidig an. »Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, Tanja. Wenn wir über Oldenburg und Emden fahren, mindestens zwei Stunden.«
74
Es nervte Leon, dass Tanja die ganze Zeit auf ihrem iPhone herumtippte. Er hatte Mühe, sich auf den Straßenverkehr zu konzentrieren, und war froh, ein Navi zu haben, so dass er keine Gedanken darauf verschwenden musste, den richtigen Weg zu finden.
Sie waren gerade durch den Wesertunnel gefahren und bewegten sich in Richtung Varel, als er sie anfuhr: »Jetzt leg doch endlich mal dein Scheiß-iPhone zur Seite! Checkst du deine Mails, oder was?«
»Nein, ich geb ihm über Facebook Saures.«
»Du machst was ?«
»Wir müssen ihn outen. Nur das kann deine Johanna schützen! Sobald sie ihren Account besucht, weiß sie Bescheid.«
Er wusste nicht, ob er das für eine völlig bescheuerte Idee hielt oder für genial. Vielleicht ärgerte er sich auch nur, selbst nicht darauf gekommen zu sein.
Tanja las vor, was auf Facebook gerade geschah: »Ich hab geschrieben: Pit Seidel ist der Verehrer. Er hat meine Schwester auf dem Gewissen. Johanna! Wenn du das liest, du bist in großer Gefahr! Wenn einer von euch Johanna Fischer sieht, warnt sie! Sie hat keine Ahnung, wer der Verehrer ist. «
Leon überholte einen Pferdetransporter.
Die ersten Kommentare las sie ihm nicht vor.
Ein fünfzehnjähriger Take-That-Fan, der sich Take me nannte, schrieb: Johanna Fischer hat einen Verehrer? Ist der blind?
Eine Blockflötenlehrerin aus Wremen, die mit vielen ihrer ehemaligen Schüler befreundet war, empörte sich: Das grenzt ja an Cybermobbing! Es gibt auch Schönere als dich.
Agneta schrieb: Ich hab sie bei
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