Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
Zaudern von sich werfend, und sie vergaßen alle Vorsicht.
Über ihnen entspannte sich ein Luftkampf, wie es ihn schon einmal gegeben hatte, damals über dem Blätterdach des Regenwaldes. Rotschopf vollführte geschickte Schleifen und machte Zirah, die Sethur als fliegendes Auge diente, das Leben schwer.
Doch was nützte es den Flüchtenden, einen Beobachter los zu sein, wenn hinter ihnen die Männer Sethurs mit Riesenschritten herannahten und wenn vor ihnen…
»Ein Drache!«, keuchte Yomi entsetzt. »Er versperrt uns den Weg!«
Beinahe stolperten die überraschten Freunde übereinander, so abrupt kamen sie angesichts der neuen Gefahr zum Stehen. Am Ausgang der Schlucht baute sich brüllend und mit rauchenden Nüstern ein riesiger Drache auf: grün, mit schuppiger, fleckiger Haut, langem Schwanz und einem weit geöffneten Maul mit spitzen Zähnen in Dreierreihen.
Yonathan starrte ungläubig auf das Monstrum. Irgendetwas stimmte nicht damit! Doch was war es? »Din!«, rief er nach dem Behmisch. »Kannst du mit ihm sprechen?«
»Ich glaube nicht, Kleines. Ich habe seit zweihundert Jahren nicht mehr mit einem Drachen gesprochen. Außerdem scheint mir dieses hier so seltsam fern, ich kann es nicht beschreiben…«
»Das ist es!«, unterbrach ihn Yonathan. »Kommt!« Er wollte gerade auf den Drachen losstürmen, als er bemerkte, wie seine Freunde zauderten. »Nun kommt doch endlich!«, mahnte er.
»Aber wir können doch nicht…«, wollte Yomi widersprechen.
»Sethurs Männer haben uns gleich eingeholt«, drängte Yonathan. »Der Drache wird uns nichts tun, ich verspreche es dir.« Er wartete nicht länger, bis Yomi zu einer Entscheidung kommen würde, sondern packte ihn bei der Hand und zog ihn mit sich.
Din-Mikkith folgte Yonathan freiwillig. Ungläubig starrte er an dem höher und höher aufragenden Drachen empor.
Das Untier brüllte, fauchte und wütete am Eingang der Kluft, die zu schmal war, um seinen massigen Körper hindurchzuzwängen. Es half nichts, der Drache musste noch einen Augenblick warten, um seine Opfer verschlingen zu können.
»Yonathan!« Eine Stimme wie ein Peitschenschlag gellte durch das Tal. »Ich sage es Euch ein letztes Mal. Bleibt stehen!«
Sethurs Warnung erschütterte das Felsmassiv. Kleine Steinchen und Eispartikel rieselten auf die gehetzten Gefährten nieder.
»Niemals!«, rief Yonathan und lief weiter.
»Nun gut, so sei es«, ertönten Sethurs Worte, nicht mehr drohend und markerschütternd, sondern beinahe traurig.
Für einen Augenblick erfüllte unheimliche Stille die Schlucht. Unwillkürlich blieben Yonathan und seine Freunde stehen und hielten den Atem an. Sie wandten sich um und sahen ihre Verfolger, die ebenfalls innehielten. Selbst der Drache hatte für einen Moment aufgehört zu toben.
Schon mit dem nächsten Atemzug endete die unnatürliche Ruhe. An ihre Stelle trat ein Geräusch, das eigentlich schon die ganze Zeit über dagewesen war und nun an Fülle gewann. Sethurs Worte selbst hatten diesen Klang verursacht! Er war wie der Ton, den man einem Kristallkelch entlockt, wenn man mit dem nassen Finger kreisend auf dem Rand entlangfährt.
Das schwache Klingen schwoll zunächst langsam, dann aber mit unvorstellbarer Gewalt zu einem alles zerreißenden, schrillen Tönen an. Der Erdboden begann zu vibrieren und schüttelte sich bald wie unter Schmerzen. Yonathan und Yomi, die, die Handflächen auf die Ohren gepresst, wie versteinert dastanden, verloren das Gleichgewicht. Nur Din-Mikkith blieb auf den Beinen. Das Chaos erreichte seinen Höhepunkt in einem markerschütternden Knall.
Nun wurden die drei Zeugen eines gewaltigen Schauspiels: Scheinbar lautlos rutschten die Schnee- und Eismassen, die den zurückliegenden Bergkessel bekränzten, talwärts in den Krater hinab.
Din-Mikkith konnte als Erster die lähmende Wirkung dieser Furcht erregenden Kette von Ereignissen abschütteln. »Wir müssen raus hier!«, holte er seine beiden Freunde in die Wirklichkeit zurück. »Das Eis wird gleich wie ein Sturmflut durch die Kluft schwappen. Es wird alles zermalmen, was ihm im Weg ist!«
»Aber der Drache!« Yomi deutete auf das Monstrum, das inzwischen ebenfalls wieder lebendig geworden war und den Freunden mit geiferndem Maul entgegenblickte.
»Vergiss ihn und komm!«, rief Yonathan und begann seinen Freund wieder in Richtung des Ungetüms zu zerren.
Und so stürmten sie weiter. Die unerwartete Wendung der Ereignisse hatte ihre Verfolger zu Leidensgenossen gemacht. Auch
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