Nest: Jake Sloburn Horror-Thriller
werden.
“Noch nicht”, sagte er zu Jakob, wieder in diesem bewussten Ton, und der Junge beruhigte sich auf der Stelle, wurde gefügig. Sloburn konnte nur hoffen, dass er seinen Einfluss auf das Gehirn des Jungen so lange aufrechterhalten konnte, wie das hier dauern würde. Und dass der Junge am Ende der Veranstaltung noch so etwas wie ein funktionierendes Gehirn haben würde. In mancher Hinsicht waren Menschen unheimlich verwundbar.
Jake setzte sich in Richtung Tür in Bewegung, der Junge stand mechanisch vom Bett auf und folgte ihm.
“Findest du das Zimmer mit dem Spiegel wieder?”, fragte er Jakob.
Die Augen des Jungen weiteten sich ungläubig, aber der Schrecken seiner Erinnerung drang nicht ganz bis in sein Bewusstsein durch. Seine Lippen formten tonlos das Wort ‘Jan’. Und dann nickte Jakob langsam, zögernd.
“Du musst nicht mit reinkommen”, sagte Jake und trat hinaus auf den Gang.
Das Zimmer war nur ein paar Türen weiter den Gang hinunter und Jakob blieb tatsächlich draußen vor der Tür stehen – mit einem Blick, als träumte er mit aufgerissenen Augen einen dumpfen, beunruhigenden Traum.
Jake fand das Zimmer so vor, wie Jakob es ihm beschrieben hatte. Allerdings hatte ihm Jakob den desolaten Zustand des Spielzimmers und den verfaulten Geruch verschwiegen, der auch hier von den Wänden auszugehen schien. Inzwischen war sich Sloburn sicher, dass die Jungs die Zimmer gänzlich anders gesehen hatten, als sie tatsächlich waren. Diese Anmutung von Verfall und Verwesung, die die Räume ausstrahlten, hätten ihnen sonst sicher auf der Stelle jede Lust an Spielchen genommen.
Schließlich fand er den Spiegel, von dem ein Stück abgesplittert war, und die Blutlache. Ein kleiner dunkelroter See, etwa so als hätte sich jemand zwar heftig, aber sicherlich nicht todbringend in den Arm geschnitten. Er öffnete die geheime Spiegeltür und machte sich auf den Anblick der mumifizierten Leiche gefasst.
In dem kleinen Raum befand sich allerdings außer dem bequem aussehenden, ledernen Bürosessel und einer Minibar rein gar nichts. Keine Leiche, kein Tropfen Blut an den Wänden oder auf dem Boden.
‚Zwei Möglichkeiten‘, überlegte Jake Sloburn. Als er wieder auf den Gang trat, hatte der Junge immer noch diesen Blick drauf, schien irgendwo zwischen Wachen und Träumen zu sein. Er blickte aus verwunderten Augen fasziniert auf die schimmelige Plüschtapete, die die Wände des Flurs zierte. Nur dass diese für den Jungen vermutlich aussah wie die Wandbespannung eines hochherrschaftlichen Ballsaals in Versailles.
Sloburn ging voran und Jakob folgte ihm, aber diesmal suchte er keine weiteren Spielzimmer. Vielmehr hielt er nach einer ganz bestimmten Tür Ausschau, möglicherweise würde diese Tür aus Stahl sein, einfach und schmucklos.
Auf jeden Fall würde sie die Aufschrift PRIVAT tragen.
17
A ls sie sich im obersten Geschoss des Hauses umsahen, fand Jake Sloburn tatsächlich eine solche Tür. Sie verschloss den Flur vor neugierigen Eindringlingen, sollten sich jemals welche nach hier oben verirren. Vor Sloburn verschloss sie allerdings rein gar nichts, mit seinem Dietrich hatte er sie in Sekunden geöffnet.
Hier oben gab es zwar keine weiteren Spielzimmer, aber das Haus gewann einen kleinen Teil des anheimelnden Charmes zurück, den auch die Fassaden der unteren Stockwerke einst besessen haben mussten.
Dieser Teil des Hauses war mit einer nüchternen, hellbraunen Farbe getüncht und eher zweckmäßig eingerichtet, dafür aber sauber und größtenteils frei von Feuchtigkeit und Schimmel. Links gab es eine kleine Küche und ein schlichtes Bad mit einer Duschbrause und einer kleinen Bronzewanne, welche auf Drachenklauen stand. Durchaus wertvoll, wenn es ein Original gewesen wäre.
Aus dem angrenzenden Zimmer flackerte das typische, unstete Licht eines Fernsehapparats. Es war eine Art großer Aufenthaltsraum, in dem einige Plüschsofas und ein riesiger Flachbildschirm einen niedrigen Couchtisch umstanden. Auf der großen Mattscheibe flimmerte stumm irgendein Krimi und tauchte den Raum in ein träge pulsierendes, unnatürliches Licht. Auch in diesem Zimmer war niemand mehr, obwohl einige Gläser auf dem Tischchen in der Mitte des Raums darauf hindeuteten, dass sich vor kurzem irgendwer hier aufgehalten hatte. Die Vorhänge waren zugezogen und anschließend an die Wand getackert worden, eine ziemlich unschöne und hastig wirkende Methode, um sicherzustellen, dass die Bewohner dieser Räume von der
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