Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim
keine Freude. Was nützte ihr denn das, wenn sie doch keine Kindergesellschaft geben konnte!
»Und auf meinen Geburtstag freue ich mich jetzt kein bißchen mehr, wenn ich dann noch in der ollen Klinik im Bett liegen muß. Wer soll mir denn hier was schenken?«
Vater lächelte geheimnisvoll und gab Annemarie den Rat, für alle Fälle Schwester Elfriede einen Wunschzettel zu diktieren, da sie selbst nicht schreiben durfte.
Nun hatte die Kleine mehr als genug zu überlegen - für heute war die Langeweile aus dem Krankenzimmer gescheucht.
Der zehnte Geburtstag von Nesthäkchen war herangenaht. Goldene Frühlingssonne lachte zum Fenster hinein.
Doch Annemarie wollte gar nicht aufwachen. Sonst rumorte sie an ihrem Geburtstag zu Fräulein Lenas Ärger schon vor Tau und Tag und konnte die Zeit gar nicht erwarten. Aber heute - worauf sollte sie sich wohl heute freuen? Krank, fern von Mutter und Vater, ohne Geburtstagstisch und ohne Gratulanten, ohne Nachmittagsschokolade und ohne Kindergesellschaft -und noch dazu an ihrem zehnten Geburtstag, der eine Null hatte und darum besonders festlich begangen werden mußte! Nein, sie wollte heute überhaupt nicht aufwachen.
Aber die übermütige Frühlingssonne, die nichts von Annemaries trübseligen Gedanken ahnte, ließ nicht nach, sie mit ihren goldenen Lichtern zu blenden. Da entschloß sich Annemarie doch, die Augen aufzuschlagen.
Erstaunt rieb sie sich die Äuglein. Ja, träumte sie noch oder wachte sie? Da stand ja ein richtiger weißgedeckter Geburtstagstisch vor ihrem Bett mit zehn brennenden bunten Lichtchen und einem langen Lebenslicht. Ganz wie zu Hause. Blumen über Blumen waren auf den Tisch gestreut, Blauveilchen, Schneeglöckchen und gelbe Mimosen. Und dazwischen lagen viele Geschenke - mit einem Jubellaut griff das Geburtstagskind danach.
Handarbeitskasten, Würfel-und Gesellschaftsspiele, eine Puppenschneiderei, bunte Stifte und Postkarten zum Ausmalen dazu, und - hurra -auch ein neues Geschichtenbuch. Im Umsehen waren alle trüben Gedanken Annemaries wie fortgeblasen.
Aber wo steckte denn bloß Schwester Elfriede, die das alles so liebevoll für sie hergerichtet hatte? Annemarie wandte suchend den Kopf, um ihr zu danken. Da war keine Schwester Elfriede, aber einer, bei dessen Anblick die Kleine aufs neue in Jubel ausbrach. Hinter ihr stand der Vater, lächelnd.
In aller Herrgottsfrühe war der gute Vater schon in die Klinik gekommen, um seinem kranken Töchterchen eigenhändig den Geburtstagstisch aufzubauen. Wie hätte er es seiner Frau gegönnt, die Freude ihres jetzt zehnjährigen Nesthäkchens mit anzusehen. Nur über eines jammerte Annemarie noch, daß sie dem Vater nicht mal heute an ihrem Geburtstage einen Kuß geben durfte.
Nun zog der Vater sämtliche Gratulationsbriefe hervor. In jeder Tasche hatte er einen. Alle, alle hatten sie an die Annemarie geschrieben. Zuerst kam natürlich Muttis Brief heran. Da lief allerdings eine Träne Annemaries Stupsnäschen herunter, als sie die zärtlichen Worte und Wünsche, welche die Mutter zum ersten Mal im Leben ihrem Kinde schreiben mußte, las. Aber der übermütige Brief von Klaus, der ihr »mit einer Träne im Knopfloch und mit einem Veilchenstrauß im Auge« Glück wünschte, stimmte sie gleich wieder heiter. Fräulein und Hans, ja selbst Hanne hatte an »ihr Kind« geschrieben.
Schwester Elfriede brachte das Frühstück und beglückwünschte ihre kleine Patientin mit einem neuen Rätselbuch. Sie mußte sogleich Hannes Brief mit anhören. Ausgelassen las ihn das Geburtstagskind vor:
»Mein lihbes Annemiehchen!
»Mein lihbes Annemiehchen! Ich gradulihre Dich auch zu Deinen Zahnten Gebuhrzdag und Wünsch Dich Gottes Sägen und immer Hübsch Gesunt. Und der Kuhchen Backe ich Dich nach, wenn Du Man ärst Wieder Nachhause derfst. Du fahlst mich Sehr und Ich Grieße Dir vielmals von Deine alte Hanne.«
Und immer neue Briefe und Blumen kamen. Bunte Ansichtskarten von Margot und allen anderen Schulfreundinnen. Nein, war das aber nett, selbst ihr liebes Fräulein Hering hatte ihr eine Glückwunschkarte geschrieben. Die gute Großmama, die sich fast noch mehr Sorgen um ihr krankes Enkelchen machte als Mutti, schenkte ihr eine Spieluhr. Die drolligsten Walzen hatte sie dazu ausgesucht, um ihrem Herzblatt die Zeit zu vertreiben.
Tante Albertinchen aber mit den grauen Ringellöckchen, deren Liebling sie war, sandte ihr ein Glückskleetöpfchen. Süß war das, Annemarie nahm sich vor, es ganz besonders gut
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