Nestor Burma in der Klemme
noch
stärker hervortreten ließ, war das Gesicht nicht unangenehm. Es hatte
sicherlich einige Frauenherzen höher schlagen lassen, als in ihm noch die
grünlichen Augen leuchteten, die jetzt an die Decke starrten... ohne den
feuchten Fleck zu sehen, den der letzte Regen zurückgelassen hatte. Wir standen
vor einem leicht ergrauten Vorstadt-Casanova von vielleicht vierzig Jahren.
Ein Hemd und eine Hose bedeckten die Leiche
notdürftig. Die Füße steckten in Leinenschuhen ohne Schnürsenkel.
Während ich das Ganze mit einem Blick erfaßte,
stellte mich Florimond Faroux den Anwesenden vor.
„Messieurs, das ist Monsieur Burma.“
Drei interessierte Augenpaare richteten sich auf
mich. Sehr schmeichelhaft, aber... Die Atmosphäre war sehr gespannt, und das
Interesse der drei rief bei mir eher gemischte Gefühle hervor. Ich bemühte mich
um einen möglichst gleichgültigen Gesichtsausdruck und nutzte die Zeit, mir
eine Erklärung für mein Auftauchen zurechtzulegen.
„Hübscher Anblick“, bemerkte ich ironisch und
zeigte mit meiner Pfeife auf die Leiche. „Wer ist das?“
„Ein gewisser Briancourt“, antwortete Faroux.
„Henri Briancourt, Schauspieler“, präzisierte er, so als eröffne mir die
Zusatzinformation ganz neue Horizonte.
„Schauspieler?“ wiederholte ich. „Und wer hat
ihm die Rolle des Rindviehs in der heimlichen Schlachthausszene zugeteilt?“
„Irgend so ein Vogel.“
„Wie im Märchen! Und ich soll diesen komischen
Vogel für Sie einfangen, stimmt’s?“
„Wer sagt das?“ meldete sich einer der drei
Männer zu Wort, ein dicker, kurzbeiniger Kerl mit rotem Gesicht.
Das war der zuständige Kommissar des Viertels.
Ich schenkte ihm mein bezauberndstes Lächeln.
„Niemand, aber ich nehm das mal an. Warum sonst
hätte man mich, einen einfachen Privatdetektiv, hierher gebeten, damit ich in
aller Ruhe den Tatort inspiziere? Dafür muß es doch einen Grund geben, oder?“
„Allerdings.“
„Und welchen, wenn ich fragen darf?“
„Lieber Monsieur Burma“, erwiderte der
Kommissar. Sein höflicher Ton flößte alles mögliche ein, nur kein Vertrauen!
„Auch wenn wir, Polizei und Privatdetektive, ständig, wie Sie es zu verstehen
geben, im Clinch miteinander liegen, so haben wir doch einige Prinzipien
gemeinsam. Eins dieser Prinzipien besagt, daß man nichts außer acht lassen
darf, was…“
„Das wende ich stets gewissenhaft an“, stimmte
ich ihm zu. „Dann werden Sie verstehen, warum Inspektor Faroux, als er Sie im
Hof stehen sah, sich gesagt hat, Ihre Zeugenaussage könne uns vielleicht
weiterhelfen. Im Laufe Ihrer... äh... Laufbahn hatten Sie die Gelegenheit, mit
allen möglichen Menschen in Berührung zu kommen. Es könnte doch also sein,
daß...“
„...ich den Toten kannte?“ vollendete ich seine
Frage.
„Genau.“
„Eine abenteuerliche Methode“, stellte ich
seufzend fest. „Wenn Sie alle Zeugen auf gut Glück herausfischen, werden Sie
eines Tages den Mörder darunter finden. Daran zweifle ich nicht. Aber
Frankreich hat vierzig Millionen Einwohner. Das könnte lange dauern.“
„Vor allem, wenn alle wie Sie daherschwätzen,
ohne was zu sagen“, warf Faroux ein. „Kennen Sie den Kerl, ja oder nein?“ Mir
war klar, er hätte von mir gerne ein „Ja“ gehört. Ich antwortete, ich könne
nicht lügen, nur um ihm einen Gefallen zu tun. Nein, leider sei mir der Tote
nicht bekannt. Faroux sagte lachend, er verstehe schon, Nestor Burma und
Märchen, das sei dasselbe, alle Welt wisse das.
In diesem Augenblick kamen zwei Flics herein.
Der erste berichtete von seinen Ermittlungen in der Nachbarschaft, der zweite
teilte mit, daß die Leute vom Erkennungsdienst eingetroffen seien. Die
Fotografen und zwei Gerichtsärzte nahmen lärmend das möblierte Zimmer in
Besitz. Ich zog mich in einen Winkel zurück, zündete mir eine Pfeife an und
sperrte Augen und Ohren auf. Abgesehen von Faroux, der mir hin und wieder einen
ärgerlichen, beinahe wütenden Blick zuwarf, schien man mich vergessen zu haben.
„Ihr habt euch ja Zeit gelassen“, sagte der
Kommissar vorwurfsvoll zu den Fotografen.
„Wenn Sie unsere Schrottkiste sehen würden,
würden Sie’s gar nicht für möglich halten, daß wir überhaupt angekommen sind“,
verteidigte sich einer der Männer.
„Ist ja auch egal“, mischte sich Faroux
vermittelnd ein, „die Fotos sind sowieso was für’n... äh... Papierkorb. Die
Leute, die die Leiche entdeckt haben, haben sämtliche Spuren verwischt.“ Ober-
und
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