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Nestor Burma in der Klemme

Nestor Burma in der Klemme

Titel: Nestor Burma in der Klemme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Einfällen und ihr Herz übervoll
von Mitleid. Als sie mich so manövrierunfähig im Sessel hängen sah, übernahm
sie die Initiative. Sie schnappte sich einfach das Telefon und überraschte mich
kurz darauf mit einer göttlichen Adresse, die ihr mein Freund Marc Covet, der
Journalist, geliefert hatte: Café du Pingouin, Boulevard du Lycée in Vanves,
Metrostation Petits-Ménages. Der entsprechende Kellner hieß Jean und
machte ausschließlich „in Tabak“.
    Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.
     
    * * *
     
    Mit drei Päckchen Tabak bewaffnet, kam ich wenig
später aus dem Café du Pingouin. Ich riß eins auf und stopfte meine Pfeife.
Nach dem ersten Zug fühlte ich mich wie ein neuer Mensch. Die Hausfrauen, die
vor den Geschäften Schlange standen, schienen mir alle ganz reizend. Sicher,
sie zankten sich darum, wer als nächste an der Reihe war; aber ich hörte nicht
auf das, was sie sagten. Wohlwollend schrieb ich ihr Gekeife einer fröhlichen
Ausgelassenheit zu.
    Ein Flic stand am Straßenrand. Ob er im Dienst
war oder auf ein Dienstmädchen wartete, konnte man schlecht sagen. Jedenfalls
langweilte er sich zu Tode. Sah ganz nett aus, der Junge. Na ja, vielleicht
war’s auch ‘n falscher Flic...
    Die metallenen Katzenbuckel der
Fußgängerüberwege glänzten wie neue Münzen in der Sonne. Und sogar die war viel
weniger blaß als heute morgen, als ich mein Büro verlassen hatte. Ja, er wurde
tatsächlich Frühling!
    Es kam überhaupt nicht in Frage, daß ich die
Treppen zur Metro hinunterging. Dort verbieten nämlich irgendwelche
lächerlichen Bestimmungen das Rauchen. Schließlich hatte ich nicht einen vollen
Tag an meiner kalten Pfeife gesaugt, um sie so schnell wieder loszulassen,
jetzt, da sie endlich qualmte! Einhundertzwanzig Gramm Tabak beulten die Tasche
meines Trenchcoats aus. Ich hatte es nicht eilig. Also konnte ich ruhig noch
ein wenig Spazierengehen und rauchen. Ich warf einen Blick auf den Metroplan,
um mir eine Route zurechtzulegen. Dann machte ich mich auf den Weg, euphorisch,
gutgelaunt, die Hände in den Taschen und die Pfeife zwischen den Zähnen.
    Auf der Uhr an der Metrostation Porte de
Versailles war es fünf vor elf. Gerade als ich feststellte, daß meine
Armbanduhr etwas vorging, näherte sich ein dumpfes Geräusch, aus allen
Himmelsrichtungen gleichzeitig, wie mir schien. Noch bevor ich es genau orten
konnte, donnerte ein ohrenbetäubender Lärm über meinen Kopf hinweg.
    Das dunkle Flugzeug mit dem schwarzen Kreuz auf
den Tragflächen flog eine Schleife über dem Parc des Expositions, rasierte Baumkronen
und Dächer und verschwand in Richtung Viaduc d’Auteuil.
    Das Getöse in der Luft löste in mir eine ganze
Gedankenkette aus. Ich dachte an den Krieg, an die Bombardements der letzten
Tage und den eventuellen Alarm bei diesem hellen, freundlichen Wetter. Und
wieder funktionierte mein sechster Sinn: Noch hatte ich das Wort „Alarm“ nicht
einmal gedacht, als auch schon die Sirenen aufheulten. Das mußte ja so kommen!
    Kaum hatte ich meinen Fuß auf den Boulevard
Victor gesetzt, wo ein Buch im Schaufenster einer Buchhandlung mein Interesse
weckte, antwortete ein wohlbekanntes Brummen auf die Sirenen.
    Ich fluchte innerlich und entzifferte den Preis
des interessanten Buches. Verlorene Liebesmüh! Ich faßte an die Klinke der
Ladentür. Die Klinke war herausgezogen. Auf einem Schildchen konnte der Kunde
lesen, daß die Buchhandlung nur nachmittags geöffnet war. Ich warf noch einen
Blick auf das Buch im Schaufenster...
    ... als das junge Mädchen mich beinahe umrannte.
    Ich stand sechzig Zentimeter neben dem Hausflur,
aus dem sie buchstäblich wie ein Wirbelwind herausgestürmt kam. Noch nie hatte
ich jemanden gesehen, der es so eilig hatte!
    Und schon entfernte sich die Kleine federnden
Schrittes, fast lautlos auf ihren hohen Absätzen. Ihre wohlgeformten Beine
steckten in eleganten Seidenstrümpfen, was in jener Zeit ein ziemlich seltener
Anblick war. Unter einer Pelzjacke trug sie ein blaues Kostüm. Die
kastanienbraunen Haare gingen in das gekräuselte Schaffell über. Das Gesicht
des Mädchens hatte ich nur flüchtig gesehen, aber häßlich schien es mir ganz
und gar nicht. Mit anderen Worten: Es entfernte sich eine höchst angenehme Erscheinung.
    Ich sah jetzt ebenfalls zu, daß ich wegkam. Das
dumpfe Dröhnen einer Flugzeugstaffel näherte sich bedrohlich. Eine Flakbatterie
spuckte ihre Geschosse aus. Wie auf Kommando gaben noch weitere Geschütze Laut.
Die Luft

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