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Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Wandering Aengus‹ — und wie sehr das seiner Suche nach
einem Heim entsprach. Und sie erzählte mir auch, daß er neuerdings ein anderes
Lieblingsgedicht hatte — ›A ll Souls Night‹.«
    »So?« murmelte Sallie mit vollem Mund.
    »Ich machte mir damals nicht viel
Gedanken deshalb, aber ich interessierte mich doch genug für Jimmy, um mir
Yeats’ Gedichte genauer anzusehen. Mir fiel auf, daß er den Refrain häufig
kursiv setzte wie ein Liederdichter. Und ich erinnerte mich, daß Jimmy einige
dieser Refrains mir gegenüber erwähnt hatte. Aber trotzdem brachte ich ihn noch
nicht mit den Ereignissen hier oder mit den Morden oder Ducs Verschwinden in
Zusammenhang — obwohl ich wußte, daß er manchmal hier im Hotel Aushilfsarbeiten
verrichtete.«
    »Mary hat ihn hin und wieder
angestellt. Er kannte das Haus, und niemand fand etwas dabei, ihn hier zu
sehen. Aber wie sind Sie darauf gekommen, daß er es war?«
    »Er rief im Sender an, als ich diese
Radiosendung mitmachte. Er hat seine Stimme verstellt, aber er benutzte einen
der Refrains von Yeats — aus Alles bleibt Gott überlassen, ›Crazy Jane
on God‹. Ich kam immer noch nicht darauf, weil es religiös war und mich an
Bruder Harry denken ließ.«
    »Der! Wußten Sie, daß er gestern abend
eingesperrt worden ist, weil er den Frieden vor dem Sensuous Showcase Theatre
gestört hat?«
    »Nein.«
    »Ist aber so, und ich hoffe, er
verbringt Weihnachten im Knast, wo er die Freude anderer Leute nicht stören
kann. Aber der kommt wieder; er kommt immer wieder.« Sallie machte eine kurze
Pause und sah mich kritisch an. Dann fügte sie hinzu: »Möchten Sie noch einen
Keks?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Nun, ich hol’ mir noch welche. Diese
braunen da sehen auch gut aus. Nehmen Sie doch einen davon.«
    Schokolade ist eine Schwäche von mir.
Also sagte ich: »Okay« und sah ihr nach, wie sie zu dem Tisch watschelte und
einen Pappteller belud.
    Als sie zurückkam, meinte sie: »Ich
verstehe immer noch nicht, wie Sie darauf gekommen sind.«
    »Kursivdruck. Ich habe einen Brief
gelesen, bei dem etwas kursiv geschrieben war, und dadurch wurde eine unbewußte
Assoziation ausgelöst. Ich habe mir noch einmal Yeats’ Gedichte angesehen, und
da war alles zu finden.«
    »Das müssen Sie mir erklären.«
    »Zuerst waren da die Worte Alles
bleibt Gott überlassen. Da wußte ich, daß es Jimmy war, der mich im Sender
angerufen hatte. Dann war da das Gedicht über den wandernden Aengus — wie Mary
sagte, Jimmys Suche nach einem Heim. Aber er hatte es durch einen neuen
Liebling ersetzt, und das verriet mir, daß er möglicherweise einen Ort gefunden
hatte, an dem er leben konnte. Jeder in der Gegend, mit dem ich gesprochen
hatte, dachte das, aber niemand wußte, wo. Es mußte also ein sehr geheimer Ort
sein. Das neue Gedicht, ›A ll Souls Night‹, beschrieb etwas, das in
einer alten, geschlossenen Flüsterkneipe stattfinden könnte, wie der unter dem
Crystal Palace.«
    »Aber woher wußten Sie, daß sie da
war?«
    »Ich wußte es nicht, aber Otis Knox hat
mir erzählt, daß es möglich wäre. Also habe ich danach gesucht.«
    »Und Duc gefunden. Woher wußten Sie,
daß Jimmy ihn gekidnappt hatte?«
    »Gleich nachdem Duc verschwunden war,
war Jimmy sehr aufgeregt und hat ein paar Zeilen zitiert, wobei er weinte. Sie
stammten aus einem Gedicht mit dem Titel ›The Stolen Child‹, das gestohlene
Kind. Als ich schließlich alles zusammenfügte, entschied ich, daß er Duc im
Theater gefangenhalten mußte.«
    »Und Otis Knox?«
    »An dem Abend, als er getötet wurde,
befand sich Jimmy in einem ausgesprochen manischen Zustand und zitierte Zeilen
über den Tod. Sie paßten zu dem, was geschehen war — paßten zu gut.«
    »Heiliger Jesus«, sagte Sallie, »es gab
Zeiten, als ich im Gefängnis war, da dachte ich, ich würde verrückt. Aber so verrückt war ich nie.«
    »Aber es kommt vor«, meinte ich.
    »Das kann man wohl sagen.« Sallie warf
einen sehnsüchtigen Blick zum Büffet hinüber. »Na ja, etwas Gutes hat die ganze
Sache ja wenigstens gehabt. Der Besitzer ist menschlich geworden. Wenn man vom
Teufel spricht...« Als LaFond sich uns näherte, entfloh Sallie zum Essen.
    »Eine hübsche Party, die Mary da gibt,
nicht wahr?« sagte er und lehnte sich neben mich an die Brüstung.
    »Sehr hübsch. Aber es wäre nicht dazu
gekommen, wenn Sie ihr nicht einen Grund gegeben hätten.«
    Er machte eine abwehrende Geste und
betrachtete liebevoll seine Mieter. Fältchen standen in seinen

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