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Neu-Erscheinung

Neu-Erscheinung

Titel: Neu-Erscheinung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gantenberg
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mir fast keine Notiz nahm, denn ich war nicht vorgesehen. Weder in den Prophezeiungen noch sonst wo.
    Ich kam am 25 .Dezember im Jahre 0 zur Welt. Ich, Hannah von Nazareth, Jesu Schwester. Tochter von Maria und, nun ja, im weiteren Sinne auch Tochter von Josef. Ich war die Messias und bin es noch heute.
    Das konnte ich aber in diesem speziellen Moment keinem sagen, schon gar nicht diesem netten jungen Mann, der mich in genau diesem Augenblick ansprach.
    »Haben Sie schon gewählt, Signorina?«, säuselte die Stimme von Angelo, meinem zukünftigen Lieblingskellner.
    »Ja. Dich!«
    Wollte ich sagen, traute mich aber nicht. Seine tiefbraunen Augen hatten die Schwere eines sonnengereiften Barbera und sein Lächeln den Umhaufaktor einer ganzen Flasche ebenjenes göttlichen Gesöffs. Zwischen seinen sinnlichen Lippen blitzten akkurat gesetzte blitzeweiße Zahnreihen und der Blick auf seinen durchtrainierten Italopo verhieß das Allerbeste.
    »Signorina?«
    »Ja?«
    »Ihren Wunsch, bitte!«
    »Ihre Telefonnummer, und ich wäre schon zufrieden.«
    Angelo lachte und schrieb ohne jeden weiteren Kommentar sieben Zahlen auf einen Bierdeckel.

Ich und fast beim Chef
    Die Fahrt von Muenden in Westfalen nach Dortmund dauert 45 Minuten mit der traditionellen Hellwegbahn. Dabei hält sie exakt 12 Mal. Immer da, wo Halten eigentlich keinen Sinn macht, sondern nur eine höfliche Geste ist. Eine Verbeugung vor dem Fahrplan und ein Hauch von Respekt vor den Menschen, die ihn lesen.
    Mit jedem Kilometer, den sich an diesem Morgen die Bahn aus der Provinz in die große, weite Welt hinaustraute, wuchs meine Sorge. Ich hatte allen Grund dazu.
    »Herr Masuch möchte Sie gerne sprechen.«
    »Kein Problem, wann?«
    »Morgen. Hier. Zehn Uhr!«
    »Ich ... äh ...«
    Bevor ich noch etwas entgegnen konnte, hatte Irene Radicz ihren Job erledigt. Als Sprachrohr ihres Chefs, meines Herausgebers, und in ihrer naturgemäßen Funktion als größtes Miststück aller Zeiten.
    Irene Radicz hasste mich. Sie hasste alles, was aus den Wäldern jenseits von Dortmund kam. Wildschweine, Moos, Pilze und vor allem Lokalredakteure. Lokalredakteure aus Muenden hasste sie besonders. Und sie machte auch kein Hehl daraus, dass Menschen aus einer 40 . 000 -Seelen-Gemeinde nur unwesentlich weiter als Kapuzineräffchen entwickelt sein können. Dass die kleinen Tierchen gar nicht so doof sind, wie Diktier-Kopier-und-Kaffeekochsaurier gemeinhin vermuten, nehmen Menschen mit betonierten Vorurteilen einfach nicht zur Kenntnis.
    Ich war stolz auf meine Herkunft. Auch auf jede einzelne dieser 41 . 000 Seelen, die wir seit der Eingemeindung von Örentrup und Firentrup zu Muenden zählen durften.
    Frau Löffler, meine Redaktionssekretärin, hart zu sich und weich zu mir, ließ mich höchst ungern in die Höhle des Bösen gehen. Irgendwas in ihr machte sich ständig Sorgen um mich, was an so manchen Tagen auch Bettina Sorgen bereitete. Denn es gab eigentlich keinen zwingenden Grund für Frau Löffler, sich um mich irgendwelche Sorgen zu machen.
    An diesem Morgen machte ich mir meine eigenen. Seit die Kostenstelle unserer Zeitung über sämtliche Spesen, Reise- und Recherchekosten penibelst Buch führte und Belege nicht nur ausnahmslos einforderte, sondern gelegentlich sogar erspitzelte, war die unbeschwerte Spendierlaune in so mancher Redaktion unseres großen Verlages nur noch ein Kapitel längst vergangener Betriebsfolklore. Egal, diese Fahrt nach Dortmund auf Kosten des Hauses, ohne Angabe von Gründen, hatte mit Sicherheit keinen angenehmen Hintergrund.

Ich beim Chef
    »Mein lieber Litten!«
    Günter Masuch versank wie fast immer hinter seinem Herausgeberschreibtisch, der die Bedeutung und Geschäftigkeit seines Besitzers mit Akten- und Notizbergen zentnerschwer ertragen musste. Während sich in meinen Handrillen kleine Rinnsale von Schweiß im Zentrum des Handtellers zu einem Salzsee verabredeten, grub Masuch sich durch einen Berg von Papieren, um mir irgendwas zu präsentieren.
    »Wie lange haben wir uns nicht gesehen?«, murmelte Masuch.
    »Vier, fünf ...«
    »Fünf Wochen und zwei Tage«, ergänzte Masuch gedämpft. »Um ganz genau zu sein: Fünf Wochen, zwei Tage und ...«, jetzt erhob sich mein Herausgeber, und seine 1 , 64  m Körpergröße wirkten grotesk und unproportional im Verhältnis zu seinem Tisch, » ... dreieinhalb Stunden!«, verkündete er, wobei sein arthritischer Wurstfinger auf das Zifferblatt seiner Uhr tippte.
    Ich nickte und schwieg. Wenn es so war,

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